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Ausgabe 2/2019


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Sensible Songs abseits des Mainstreams

KALLE JOHANNSEN
Ströntistel
(Eigenverlag), mit Texten u. Infos


Kalle Johannsen ist bekannt als die eine Hälfte des renommierten nordfriesischen Dragseth-Duos, nicht nur als Interpret, sondern auch als Autor anrührender Chansons und geschmackvoller Lyrikvertonungen. Die Erwartungen an den ausdrucksstarken Sänger (dessen angenehmer Bariton ganz gelegentlich an Hannes Wader erinnert) und sehr kompetenten Fingerpicker sind also hoch, wenn er sich und uns zu seinem vierzigjähren Bühnenjubiläum sein erstes Soloalbum gönnt. Ströntistel (friesisch für „Stranddistel“) heißt das Album mit vierzehn Liedern, zehn davon auf Hochdeutsch und je zwei auf Plattdeutsch und Friesisch. Johannsen beweist ein gutes Händchen bei der Textauswahl. Es findet sich klassische  KALLE JOHANNSEN: Ströntistel Lyrik darunter, von Robert Burns etwa (in einer Übertragung Johannsens, „Winter is vergahn“) oder von Friedrich Hebbel („Das letzte Glas“), aber auch von zeitgenössischen Liedermachern wie Ralph McTell („Latje strük“) und Jaques Brel (mit einer kongenialen Übertragung von „Voir un ami pleurer“). Johannsen geht es in seinen Liedern um Menschen, die sich abseits des Mainstreams bewegen und ihre Individualität bewahren. Er erzählt von Zivilcourage und Selbstreflektion, aber auch von Ausgrenzung, Migration und Vertreibung. Das anrührende Lied „Mein Name ist Hosanna“ greift die wahre Geschichte eines Kindes auf, das übers Mittelmeer bis nach Friesland flüchtete. „Heimatlos“, mit einem Text von Max Hermann Neiße, erinnert uns daran, dass noch vor wenigen Jahrzehnten auch abertausende Deutsche das Schicksal und die Empfindungen eines Flüchtlings im Exil geteilt haben. Die Arrangements der Lieder sind schlicht ein Genuss. Eine gute Idee, sich den Multiinstrumentalisten Jens Kommnick ins Studio zu holen, der die Songs mit Gitarren, Cello, Mandoline, Bouzouki, Bass und Flöte veredelt. Des Weiteren sind Christoph Hansen an Gitarre und Saxofon, Martin Loeb an der Oboe sowie Andreas Johannsen an der Konzertgitarre zu hören. Erwartungen erfüllt. Voll und ganz!
Ulrich Joosten

Bessere Paradiese

JAVIER RUIBAL
Paraísos Mejores
(Lo Suyo), mit span. Texten u. Infos


Gelungen wie sein philosophischer Titel („Bessere Paradiese“) ist auch dieses Lebensfreude versprühende und erzeugende zwölfte Album des Andalusiers (siehe auch Folker 5/2016, „5 Minuten mit …“). Erneut produziert von seinem Sohn und langjährigen Mitmusiker, dem exzellenten Drummer und Percussionisten Javi. Ein frischer Wind weht durch die Songs, obwohl diese allein dank Ruibals markanter und seelenvoller, für hiesige Ohren vor allem nach Flamenco klingender Stimme stets einen Wiedererkennungseffekt haben. Doch gemeinsam mit einigen spannenden Gästen wurden allerhand neue Ideen betreffs Instrumentierung und Arrangements umgesetzt. Der erste Kurswechsel geschieht gleich in den ersten Takten des schmissigen Openers „Tu Divo Favorito“.  JAVIER RUIBAL: Paraísos Mejores Der Bläsersound ist treibend und suggestiv, erinnert ein wenig an die Musik von New Orleans. Einen solchen Drive meint man im musikalisch ohnehin farbenprächtigen Kosmos von Javier Ruibal so noch nicht vernommen zu haben. Im Song erzählt der Barde mit vielen poetisch und atmosphärisch starken Bildern von einem abgerissenen Gentleman in der New Yorker Metro, der womöglich von seiner Freundin, einer Rapperin träumt. Ein fantasie- und sprachbegabter Poet vor dem Herrn ist der 63-jährige Troubadour. Doch auch ohne die Verse zu verstehen, kann man seine hedonistischen, teils auch kritisch-nachdenklichen Songpoesien genießen, mitunter gar dazu tanzen. Zu Recht wurde der Sympathieträger für sein Gesamtwerk 2017 mit einem renommierten spanischen Musikpreis ausgezeichnet (wie zum Beispiel zuvor Joan Manuel Serrat). 2018 feierte er sein 35-jähriges Bühnenjubiläum ausgiebig mit einer Spezialtour, zu der der gut vernetzte Künstler unzählige, unter anderem spanische Musikerfreunde einlud. Zwei geografisch fernere Seelenverwandte, Juan Luis Guerra aus der Dominikanischen Republik sowie Chico César, sind nun mit von der Partie. Mit dem Afrobrasilianer intoniert der sonst weniger als Musiker denn Privatperson politisch aktive Sänger ein Lied über historische und heutige Formen von Sklaverei und Diskriminierung. Wer Ruibal noch nicht kennt ... – jetzt oder nie.
Katrin Wilke

Darf man das?

CARMINHO
Maria
(Warner Music), mit Texten


Die Popikone Madonna lebt mittlerweile in Lissabon und will ihrem nächsten Album ein Fadoflair verpassen. Darf man das? Die Fadosängerin Carminho hat sich in Maria die Frage umgekehrt gestellt: Darf man authentischen Fado mit fremden Federn schmücken? Dazu greift sie auf das 1966 veröffentlichte, nicht ganz ernst gemeinte Stück „Pop Fado“ zurück. Darin fragt sich der Komponist, ob Fadistas in Zukunft mit der Haartracht der Rolling Stones auftreten dürfen und der Fado nur noch ein Anhängsel der Popmusik sein wird. Carminhos Antwort darauf ist eindeutig, aber differenziert. Sie macht von Anfang an klar, dass der Fado Leben und Tod der Menschen in poetischen Worten beschreibt. Und wie! Mit einer Stimme,  CARMINHO: Maria die direkt ins Herz zielt – ausdrucksstark, wunderschön. Das Album beginnt a cappella mit ihrer Eigenkomposition „A Tecedeira“ („Die Weberin“), die Tag und Nacht Leichentücher mit filigranen Zypressen wirkt. Neues Leben entsteht in „O Começo“ („Der Beginn“), dem folgenden Stück der CD. „Ich singe für diejenigen, die danach dürsten, die Musik des Windes zu hören.“ Das ist Fado pur – Stimme, portugiesische Gitarre, Bass, mehr nicht. Da erübrigt sich die kleinmütige Frage der Fado-Puristen, ob Carminho sich im herrlich getragenen „Estrela“ („Stern“) mit der Elektrogitarre begleiten darf. Das Lied, eine der sechs Eigenkompositionen, ist eigentlich kein Fado. „Du bist der Stern, der mein Herz leitet. / Du bist der Stern, der meinen Weg erhellt.“ Man könnte das Lied als Glaubensbekenntnis sehen. Carminho drückt darin jedoch ihre Dankbarkeit für ihre Wurzeln aus. Wann immer ihre Mutter, die Fadosängerin Maria Teresa Siqueira auftrat, war die kleine Carminho dabei. Schon als Kind stand sie auf der Bühne. Das Album trägt denn auch den ersten Vornamen der Mutter, der Wegbereiterin ihrer Karriere. Hin- und hergerissen zwischen dem Musikgeschmack ihrer Mitschülerinnen und dem Fado ging Carminho ihren Weg ? tief verankert in der Tradition, aber offen für Neues.
Martin Steiner

Innig und humanistisch

VARDAN HOVANISSIAN & EMRE GÜLTEKIN
Karin
(Muziekpublique), mit engl., franz. u. fläm. Infos


Offenbar haben die beiden Protagonisten ein Faible für die Namen türkischer Großstädte, denn schon ihr Erstling 2015 hieß Adana, nach einer Millionenstadt einige Kilometer landeinwärts von der türkischen Südküste. Nun also Karin. Wie, Karin ist kein Begriff oder ein weiblicher Vorname? Die Bildungslücke ist kein Grund sich zu grämen. Schließlich handelt es sich um den Namen, den die Armenier, die vor dem Völkermord 1915 und 1916 in der Türkei die größte Ethnie der Stadt bildeten, einst dem heutigen Erzurum gaben. Der Armenier Vardan Hovanissian (meist am Doppelrohrblattinstrument Duduk, gelegentlich aber auch an der sonoren Aprikosenflöte Tav Shvi) und der  VARDAN HOVANISSIAN & EMRE GÜLTEKIN: Karin Türke Emre Gültekin (vornehmlich an diversen Instrumenten der Baglamafamilie, aber auch am Tanbur) haben ihr zweites Album so genannt, weil Hovanissians Großvater dort geboren wurde und weil die beiden auf die dort gelebte Multikulturalität vor dem Genozid aufmerksam machen wollen. Bereits auf Adana haben Hovanissian und Gültekin gezeigt, dass sich die Musiktraditionen der Türken und der Armenier gegenseitig bereichern können. Bei ihrer neuen Produktion gehen sie noch einen Schritt weiter. Statt wie beim Vorgängeralbum im festen Quartettformat mit Bass und Darabuka anzutreten, haben sie für das aktuelle Album kurdische, georgische und iranische Musiker ins Studio eingeladen und spielen in unterschiedlichen Formationen auch Stücke, die eher den Herkunftsregionen ihrer Gäste entspringen. Manche Lieder sind übrigens gar nicht recht zuzuordnen, weil mehrere Ethnien die Melodien für sich reklamieren. Konsequenterweise werden sie auf diesem Album mehrsprachig interpretiert, etwa das in der Türkei als „Sari Gelin“ bekannte „Vard Siretsi“. Die CD verzichtet auf jedwede virtuose Effekthascherei und überzeugt nicht nur musikalisch durch ihre innige Ernsthaftigkeit, sondern auch politisch durch ihr humanistisches Engagement.
Ines Körver

Ein musikalischer Literat

ROBERT FORSTER
Inferno
(Tapete Records)


Im langen, heißen Sommer 2018 spielte der Australier sein Album Inferno in Berlin ein. Doch infernalisch ist dieses Album keineswegs, ganz im Gegenteil, eher entspannt, sommerlich und freundlich. Wie die Musik von Robert Forster seit eh und je, genauer gesagt seit 1980, als er mit seiner Band The Go-Betweens debütierte. Dabei war Songschreiben für das Arbeiterkind eher nur eine von vielen kreativen Beschäftigungen, denen er nachging. In erster Linie schrieb er Gedichte. Literatur im Allgemeinen, so dachte er, würde seinen Lebensweg bestimmen. Doch war es David Bowie und dessen androgynes Image, das ihn mit vierzehn Jahren zutiefst verwirrte und inspirierte, sich eine Gitarre zu organisieren, um Musik zu  ROBERT FORSTER: Inferno machen. Glücklicherweise lernte er an der Universität den Kommilitonen Grant McLennan kennen, der ein totaler Filmfan war und ähnlich eigenbrötlerisch wie Forster. Forster überredete McLennan, gemeinsam eine Band zu gründen, obwohl der noch nie ein Instrument in den Händen gehalten hatte. Das war kein Hinderungsgrund, und so wurden die Go-Betweens gegründet, deren erste Single von „Lee Remick“, einem Filmstar, und „Karen“, einer Bibliothekarin handelte. Seit dem Tod seines Co-Songschreibers McLennan im Jahr 2006 sind die Go-Betweens Geschichte und Forster ist auf sich allein gestellt. Sein Songschreibertum hat das wenig verändert. Im Vordergrund steht die akustische Gitarre, begleitet von Bass und Schlagzeug sowie einer Geige und seiner Duett-Gesangspartnerin Karin Bäumler. Ein leichtes Countryflair schwebt über dem Album, auf dem es aber auch gerne mal etwas flotter zugeht. Foster möchte vor allem Geschichten erzählen. Neben seiner Musik verfolgt er eine Karriere als Essayist und Musikjournalist. Textlich dreht sich auf Inferno vieles um zwischenmenschliche Beziehungen, aus der Sicht eines abgeklärten über Sechzigjährigen, der sich noch etwas sehr Jugendliches erhalten hat und zurückschaut auf ein Leben, in dem er bereits viele Verluste hat überwinden müssen und können.
Michael Freerix