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Ausgabe 6/2018


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 KAI DEGENHARDT: Auf anderen Routen
KAI DEGENHARDT
Auf anderen Routen
(Plattenbau), mit Texten


Ein einsamer Mensch steht auf einem Schiffsdeck, rundherum die offene See – so illustriert das Cover die neue Produktion von Kai Degenhardt, und so melancholisch und nachdenklich hört sie sich auch an. Sein letztes Album erschien vor sechs Jahren, und in seinem Leben und in der Welt hat sich seitdem viel verändert. Privat eine Trennung und politisch dreht sich die Erde auch nicht gerade linksherum, aber seine kritische Sicht auf die bestehende und die Träume von einer anderen, besseren Welt sind nicht aufgegeben. Er ist aber kein Agitator, seine Lieder sind klug, voller poetischer Bilder und versteckter Bezüge, verbunden mit zurückhaltend raffinierter Folkmusik. Ein besonderer Bezug besteht natürlich zu den Liedern seines Vaters, in dessen Tradition er sich stellt. Was bei dem die „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“ oder die „Arbeitslosigkeit“ war, ist beim Sohn die Werbetour für Auslandseinsätze der Bundeswehr bei Schülern. Auch die skurrilen Figuren, die schon Vater und Tante so anschaulich zu Papier brachten, fehlen bei ihm nicht. Im Untergangshotel Imperial Grand Übersee geben sie sich ein Stelldichein. Einblicke in sein privates Empfinden gibt er in mehreren einfühlsamen Liedern. Ein gelungenes, anspruchsvolles Album.
Rainer Katlewski
 LAURA HELLER: Travelling Further
LAURA HELLER
Travelling Further
(Eigenverlag), mit engl. Texten


Darf man eine Künstlerin „niedlich“ oder wenigstens „bezaubernd“ nennen? Die glockenhelle, jugendliche Klangfarbe erinnert an den Geruch von Lagerfeuer und Pfadfindergruppen. Dazu passt eine naiv klingende, jedoch unglaublich kluge Gitarrenbegleitung. Mit Studentenbrille und langen Haaren, dem eigenen Vater als Begleitmusiker und Katze auf dem Arm, so viel heile Welt kann man nicht erfinden. Wessen Herz sich von Laura Heller nicht erweichen lässt, der zertritt auch Gänseblümchen. Laura Heller komponiert ihre Songs – überwiegend auf ihren Reisen – selbst und das auf hohem Niveau. Die Lieder in englischer Sprache müssen sich vor Paul Simon oder Ane Bruns nicht verstecken. Der behutsame Einsatz von Ukulele und Akkordeon verursacht wohlige Gänsehaut. Die Stimme trifft nicht jeden Ton, aber immer ins Herz. Egal ob die Künstlerin sich entscheidet, sich selbst zu begleiten, mehrstimmig zu singen oder sich vom Vater unterstützen zu lassen, es ist immer die richtige Entscheidung, es klingt immer genau so, wie man es gehofft hat. Nach dem Hören des Albums verfällt man erst einmal in Ruhe, kein anderes Lied hat jetzt noch Platz. So viel Schönheit muss erst einmal verkraftet werden.
Chris Elstrodt

 MARION & SOBO BAND: Esprit Manouche
MARION & SOBO BAND
Esprit Manouche
(Acoustic Music), mit span., engl., dt. u. frz. Texten


Wunderbar, wie spielerisch leicht diese Band den Hörer bereits mit den ersten Tönen bezirzt. Man sieht förmlich die Straßenmusiker vor sich, vor einer Traube von Zuhörern, die alle ihre ach so wichtigen Termine kurz vergessen, um sich den französisch angehauchten Gypsy-Klängen hinzugeben. Zu Hause im Wohnzimmer wünscht man sich als Allererstes jemanden zum Mittanzen und Freuen, viel Platz zum Feiern und vielleicht ein gutes Getränk. Esprit Manouche bringt Lebenslust und Spielfreude in jeglichem Wortsinn in die vergrämte Welt und vieles von dem, was wir gerade so dringend brauchen: Hoffnung, Sinnlichkeit und ein befreiendes Lächeln. Über vierzehn Tracks hinweg schaffen Marion und ihre Bande, die gute Laune zu vertiefen. Das klingt nie langweilig und ist voller liebevoller Überraschungen. Gitarrist Sobo lässt Django Reinhardt auferstehen; Sängerin Marion bringt gleich in vier Sprachen die Gäste jeder Cocktailbar zum Erröten; die Geige klingt, als wäre sie in Bukarest gestohlen, und der Bass donnert weit kräftiger, als man es einem Begleitinstrument üblicherweise zugesteht. Wenn Antidepressiva nicht mehr helfen, Esprit Manouche gibt es rezeptfrei und ist absolut unwiderstehlich.
Chris Elstrodt
 DORIS ORSAN & JOHANNES TONIO KREUSCH: Tangos & Canciones
DORIS ORSAN & JOHANNES TONIO KREUSCH
Tangos & Canciones
(GLM)


Wie das Duo Orsan & Kreusch den Tango aufs Parkett legt, ist hinreißend. Ja, er prickelt, knistert und sprüht so vor Leidenschaft, dass man tanzbegierig und reiselustig rufen möchte: „Buenos Aires, ich komme!“ Es ist schon ein Drahtseilakt, wenn oft gespielte Repertoirestücke wie Piazzollas „Oblivion“, sein berühmtes „L’Histoire Du Tango“ oder die „Siete Canciones“ von de Falla zum wiederholten Male aufgenommen werden. Wenn das allerdings so leichthändig und aus reiner Spielfreude getan wird wie hier, ist von Drahtseilakt keine Rede mehr. Doris Orsan (Violine) und Johannes Tonio Kreusch (Gitarre) sind nicht nur ein Bühnenpaar, sondern auch privat miteinander liiert. Vielleicht liegt darin ihr Geheimnis, sich ganz intuitiv, fast selbstvergessen und mit großer Verve an das lateinamerikanisch-iberische Panorama der modernen Klassik zu wagen. Tulio Peramo Cabrera zählt zu den bekanntesten kubanischen Komponisten. Die viersätzige Tanzsuite „Cuatro Piezas“, die er extra für die beiden Interpreten geschrieben hat, und das dreisätzige „Tripticon Porteño“, ein weiteres Widmungsstück des Argentiniers Máximo Diego Pujol, sind als Weltersteinspielungen die Highlights dieses Albums.
Stefan Sell

 FUNNY VAN DANNEN: Alles gut, Motherfucker
FUNNY VAN DANNEN
Alles gut, Motherfucker
(Edition Tiamat)


Wie heißen denn diese lustigen Dinger, die man in Spielzeugläden bekommt und in denen man ständig wechselnde bunte Bilder beim Durchschauen sieht? Teleidoskope, genau das sind die Lieder von Franz-Josef Hagmanns-Dajka alias Funny van Dannen. Man nimmt immer wieder wechselnde Gedanken, kaum festzuhaltende Facetten der Wirklichkeit bei ihm wahr, Spinnereien, Fantasien, Wortspielereien, Pfiffiges, Kritisches und Weisheiten zu flotter Gitarrenmusik. Kurze, knappe Songs, ein paar knackige Gedanken, fertig ist das Lied. Wie soll man dem Wahnsinn unserer Zeit begegnen? Am liebsten ist er ja superglücklich, weil er sonst die vielen Eindrücke nur so schwer ertragen könnte. Doch es gibt auch noch die, die „waren zu dumm für das Glück“. Da hilft es auch nicht immer, in den Park zu gehen und den Hang hinunterzurollen, und selbst Engel dürfen Gott nicht alles fragen und nicht alles wissen. Andererseits singt keiner so locker lakonisch wie er und dennoch ernst und entschlossen gegen Rechtsradikalismus und religiösen Fanatismus. Er ist schon seine eigene Marke, er sitzt nicht zwischen den Stühlen, er tanzt eher mittendrin umher. „Wenn ihr die Geschichte nicht glaubt, denkt euch selbst eine aus.“
Rainer Katlewski
 RAINER WEISBECKER: Ranzereiße
RAINER WEISBECKER
Ranzereiße
(Schatzebobbes Records), mit Fotos u. dt. Infos


Rainer Weisbecker erzählt auf seinem sechsten Album laut Faltblatt „in 50 Minuten […] 15 Liedern und Blues seine schrägen Geschichten in Frankfurter Mundart, ohne auch nur einmal die Worte Äppelwoi, Bembel und Handkäs zu verwenden“. Ja, auch ohne diese Wörter ist Frankfurt am Main gemeint, nicht an der Oder. Die schrägste der bis auf zwei selbst geschriebenen Geschichten ist wohl die des Mannes, der sich eine „elektrisch Fraa“ bastelt, die dann mit seinem Kühlschrank fremdgeht. Weniger schräg, dafür familienhistorisch authentisch ist die Liebesgeschichte seiner Eltern in „De Unnergass“, die dann ihn als Nachwuchs hervorbrachte. Mal singt er seinen Blues mit „Gidarr“ und „Tequilla“ „am Küschetisch“, mal ein Lied über einen Schwarzbrenner, dessen „Schnäpsje“ dann sogar Petrus im Himmel überzeugt, mal eines über Leute, die nur „Ferz mit Kricke“ im Kopf haben. In Zeiten, in denen Mundarten innerhalb von zwei bis drei Generationen einfach verschwinden, weil sie im Alltag nicht mehr gesprochen werden, sind solche Aufnahmen zumindest Zeugnisse davon, wie die „Leit als gebabbelt habbe“, vielleicht aber auch Quellen für die, die sie wieder erlernen wollen.
Michael A. Schmiedel

 WE USED TO BE TOURISTS: The Benefit Of Doubt
WE USED TO BE TOURISTS
The Benefit Of Doubt
(Couch ’n’ Candle)


Manchen Veröffentlichungen kann eine Rezension einfach nicht gerecht werden. Das zweite Album der Kölner Independent-Folk-Truppe fällt vermutlich in diese Kategorie. Klar, es ist Folk, es ist Americana, es gibt viele akustische Gitarren, Banjos, Klavier und alles, was der Folkie so mag. Dann kann man auf den Selfmade-Charakter der Scheibe hinweisen, diese Mischung aus rauem Schliff, imperfektem Sound und begeisterten Musikern, die man im Allgemeinen mit dem Schlagwort „handgemachte Musik“ bewundert. Und man kann natürlich Vergleiche heranziehen. Hier klingt es nach Crosby, Stills & Nash, dort eher nach Giant Sand und ganz woanders auch mal nach Tocotronic. Aber alle Beschreibungen verblassen vor dem Eindruck von leuchtenden Augen, wenn man die Platte auflegt und zu seinem musikbegeisterten Freund sagt: „Hör mal, ich hab da etwas entdeckt.“ Die Kölner zählen zu den Gruppen, die irgendwann einmal Lieblingsband von Haldern-Pop-Festival-Besuchern werden. Die Songtexte sind genauso umwerfend wie die Kompositionen, abwechslungsreich, humorvoll und immer ins Herz treffend. The Benefit Of Doubt ist der Soundtrack zum Verlieben, in eine andere Person oder hilfsweise einfach in die Band.
Chris Elstrodt