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Rezensionen der
Ausgabe 1/2016


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PLATTENPROJEKT

Es gibt im Musikbereich immer wieder Veröffentlichungen, die den Rahmen herkömmlicher Produktionen inhaltlich wie vom Umfang her sprengen und deshalb einer ausführlicheren Betrachtung bedürfen, als dies in Form einer üblichen Rezension geleistet werden kann. Die Folker-„Plattenprojekte“ widmen sich in loser Folge solchen außergewöhnlichen Serien, Boxen, Sammlungen, Sondereditionen bis hin zu vergleichbaren Unternehmungen wie etwa Internetprojekten, die auf physische Tonträger inzwischen zunehmend verzichten.


In diesem Heft schreibt Christoph Wagner über


Ton Steine Scherben
Gesamtwerk

Ob Grönemeyer oder Westernhagen, ob die Toten Hosen oder Wir sind Helden – deutschsprachiger Pop wird heute als selbstverständlich empfunden. Das war nicht immer so. Noch Ende der Sechzigerjahre bildeten Rockmusik und deutsche Sprache einen Gegensatz. Eine der Pioniergruppen, die es schaffte, authentisch auf Deutsch zu singen, ohne dass es peinlich wirkte, war die Berliner Politrockband Ton Steine Scherben, angeführt von Sänger Rio Reiser. Die Gruppe war im Kreuzberger Anarchomilieu zu Hause und verstand sich als Teil der rebellischen Jugendbewegung


Ton Steine Scherben
Gesamtwerk
David Volksmund Produktion CD 115402/Indigo, 13-CD-Box)

Gesamtwerk – Die Studioalben
(David Volksmund Produktion LP 117101/Indigo, 8-Vinyl-LP-Box)


Ton Steine Scherben - Gesamtwerk


der späten Sechzigerjahre. Von Hausbesetzungen, Demos und Straßenschlachten erzählten ihre Songs in griffigen Slogans, die damals zu linken Parolen wurden wie „Keine Macht für niemand!“
Die Lieder aus den Theaterstücken wurden zum Grundstock des Repertoires. Musikalisch orientierten sich die Scherben am harten Rock der Rolling Stones, schlugen aber textlich radikalere Töne an. Sie waren das Sprachrohr der Berliner Spontis. Sie begriffen sich als Aussteiger, übten Totalverweigerung, wollten frei und ohne Zwänge leben, rauchten Haschisch, gaben sich aggressiv, rotzig, provokant und beharrten darauf, dass die Revolte trotz aller Schärfe auch Spaß machen musste. In einem Manifest proklamierte die Band: „Lieder sind zum Mitsingen da. Ein Lied hat Schlagkraft, wenn es viele Leute singen können. Unsere Lieder sind einfach, damit viele sie mitsingen können. Wir brauchen keine Ästhetik; unsere Ästhetik ist die politische Effektivität.“
Anfang September 1970 hatten Ton Steine Scherben auf dem Love-and-Peace-Festival auf Fehmarn ihre Feuertaufe erlebt – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Band war als eine der letzten aufgetreten, als die Stimmung schon ziemlich gereizt war, weil etliche Stars nicht erschienen waren und das Festival im Chaos zu versinken drohte. Nach dem Lied „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ setzten aufgebrachte Festivalbesucher das Veranstalterbüro in Brand. Derart spontane Unmutsäußerungen und Protestaktionen wurden in Zukunft häufig zu Begleiterscheinungen der Konzerte von Ton Steine Scherben, weil sie oft zu einer Demo oder Hausbesetzung aufriefen. Der Kampf um Freiräume für ein selbstbestimmtes Leben war Kern der Scherben-Philosophie. „Wir waren immer der Meinung, dass es nicht allein damit getan ist, Musik nur um der Musik willen zu machen, sondern Musik hat auch Inhalte zu vermitteln, und wir verstanden uns auch als ein Medium“, erklärt Nikel Pallat, der früh zur Gruppe gestoßen war. „Deutsch zu singen, war für uns nie ein Problem. Wir wollten uns verständlich machen und gingen davon aus, dass ein Großteil unseres Publikums Englisch nicht verstehen würde. Wenn wir die Songs in Englisch singen würden, würden sie ihre Wirkung verfehlen.“

... mehr im Heft.