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Ausgabe 3/2015


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 ATTWENGER: Spot
ATTWENGER
Spot
www.attwenger.at
(Trikont Records US-0462)
23 Tracks, 40:00


Das österreichische Schlagwerk/Akkordeon-Duo hat mittlerweile acht Studioalben und rund 750 Live-Auftritte in 25 Jahren hinter sich. Die Livekonzerte sind krachende Rhythmusübungen mit Katharsiseffekt, die Studioalben waren Erprobungen eines sonischen Spiels mit der Vieldeutigkeit der Sprache und eigentlich konkrete Poesie, in der Sprache dekonstruiert und mit Soundminimalismen zwischen elektrifizierten Akkordeon und Schlagzeug entkernt und neu belebt wird. Das war einzigartig im deutschen Sprachraum und großartig, Streetart mit Kunstverdacht und glücklicherweise nicht angekränkelt von einem Liedermachertum, das meint, bedeutungsschwangere Texte würden die Welt verändern. Auf dem aktuellen Album scheinen Attwenger ihrem alten Konzept nicht mehr so recht zu trauen: Immer noch gibt es die wunderbaren Text- und Sinnverdreher, die aus Sprache Musik machen und sich subversiv der Deutungshoheit der Sprache widersetzen. Allerdings gibt es mehrheitlich nun skurrile Geschichten über unter anderem automatische Türen und Japaner und die Musik dockt mehr als üblich an die österreichische Volksmusik an. Attwenger goes Mainstream? Oder ist Mainstream die neue radikale Avantgarde?
Harald Justin
 DIVERSE: Voice + Vision – Songs of Resistance, Democray + Peace
DIVERSE
Voice + Vision – Songs of Resistance, Democray + Peace
www.topicrecords.co.uk
(Topic Records TSCD774D)
Do-CD, 29 Tracks, 96:15 , mit engl. Infos


Diese Produktion löst gemischte Gefühle aus. Zusammengestellt wurde sie anlässlich des 75. Geburtstags des Labels und des 115-jährigen Bestehens der Schulungsstiftung der englischen Gewerkschaften. Die beiden CDs gehen inhaltlich und musikalisch in eine erfreuliche Richtung: Altes und Neueres aus dem Hause Topic (Martin Carthy, John Tams oder Shirley Collins), aber auch Spezialaufnahmen oder Übernahmen von Pete Seeger oder Chumbawamba. Der Untertitel gibt die Themen deutlich vor. Doug Nicholls, der Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes, beschreibt im Beiheft ausführlich, warum die einzelnen Songs von ihm und Labelchef Suff ausgewählt wurden. Das ist alles sehr ehrenwert, wenn auch manchmal ein wenig mit Pathos angereichert. Nun mag es unangemessen sein, diese Frage von Deutschland aus in Richtung England zu stellen, aber glaubt der Generalsekretär tatsächlich, was er schreibt, nämlich das Gewerkschafter diese Lieder in Zukunft zu diversen Anlässen singen werden? Um Missverständnissen vorzubeugen: Es wäre grandios, wenn das geschähe, aber es ist wohl zu erwarten, dass Lieder wie „Rigs Of The Time“ oder „Black Leg Miner“ auch in Zukunft eher auf Folkbühnen interpretiert werden. Eine schönes Doppelalbum ist es allemal.
Mike Kamp

 PHILIPP FANKHAUSER: Home
PHILIPP FANKHAUSER
Home
www.philippfankhauser.com
(Funk House Blues Productions/Sony)
14 Tracks, 63:29 , mit engl. Texten u. Infos


Der Schweizer Bluesmusiker und Singer/Songwriter hat bereits dreizehn Alben veröffentlicht. Jetzt legt er das vierzehnte vor, das von dem Gitarristen und Bandleader Marco Jencarelli produziert wurde. Die Aufnahmen entstanden unter Mitwirkung seiner langjährigen Musikerfreunde Hendrix Ackle (Orgel, Piano) , Angus Thomas (Bass) und Richard Spooner (Schlagzeug). Bei einigen Titeln sind auch Till Grünewald (Altsaxofon), Lukas Thoeni (Flügelhorn), Thomi Geiger (Tenorsaxofon) und Luis Conte (Percussion) dabei. Vor mehr als zwanzig Jahren hatte Fankhauser den amerikanischen Gitarristen und Sänger Johnny Copeland (gestorben 1997) kennengelernt und war mit ihm durch Europa und die USA getourt. Eine Goldene Schallplatte in der Schweiz zählt zu seinen Auszeichnungen. Das alles spricht für Qualität. Mit Titeln wie „Sweet Sensations“ und „Rainy Night In Georgia“ stellen die Musiker enormes Können und große Spielfreude unter Beweis. Ein Lob verdienen auch das hervorragend gestaltete Digipack und das Booklet. Ein absolutes Muss für jeden Bluesfan
Annie Sziegoleit
 RENAUD GARCIA-FONS & DERYA TÜRKAN: Silk Moon
RENAUD GARCIA-FONS & DERYA TÜRKAN
Silk Moon
www.renaudgarciafons.com
(E-Motive Records EM0141/Galileo MC)
14 Tracks, 56:36


Der Franzose Renaud Garcia-Fons ist einer der virtuosesten und innovativsten Kontrabassisten dieser Zeit. In atemberaubender Perfektion entlockt er seinem fünfsaitigen Kontrabass ganz neue Töne, gezupft oder mit seiner spektakulären Bogentechnik. Trotz seiner nahezu grenzenlosen Möglichkeiten auf dem Instrument steht bei Garcia-Fons die Klarheit der musikalischen Aussage im Fokus. Das ist auf Silk Moon wieder ganz wunderbar gelungen: Mit dem türkischen Musiker Derya Türkan entsteht ein intensiver Dialog zwischen dem kleinsten Streichinstrument, der Kemençe, und dem großen Kontrabass. Dabei erreichen die beiden Virtuosen durch ihr intensives Zusammenspiel einen höchst organischen Sound, der durch reduzierte, geradezu kammermusikalische Intimität besticht. Hier passiert Weltmusik im allerbesten Sinn. Mit absoluter Selbstverständlichkeit trifft orientalische Musiktradition auf Flamenco, klassische Musik, Latin und vieles mehr. Es wird nie klischeehaft oder oberflächlich agiert, diese beiden meinen jeden Ton, den sie spielen. Und das geht direkt ins Herz. Überragend!
Christian Kussmann

 HARALD HAUGAARD: Lys Og Forfald
HARALD HAUGAARD
Lys Og Forfald
www.haraldh.dk
(Westpark Music)
11 Tracks 42:17 , dän., engl. u. dt. Infos


Das dritte Soloalbum des dänischen Meistergeigers ist der Abschluss einer Trilogie. Während die ersten beiden mehr zukunftsgerichtet sind, betont Haugaard im Booklet, dass auch der Zerfall wie im Herbst seine Ruhe und Schönheit hat: „Aus Zerfall entsteht Licht.“ Vielleicht entspricht das auch seinem Lebensweg. Nach dem Aufbau der Folkmusiklinie an der Akademie in Odense als Dozent ist er seit 2013 künstlerischer Leiter von Folk Baltica und hat bereits zwei Festivals erfolgreich durchgeführt. Es ist nicht nur die brillante Technik mit der Haugaard so fasziniert. Schon bei wenigen Tönen spürt man seine Seele, die verbunden ist mit seiner Geige und der dänischen Musiktradition. Nach mehr als vierhundert Auftritten weltweit, einigen CD-Produktionen und der Zusammenarbeit bei Gestaltung und Arrangement der Stücke ist mit seiner Band eine enge musikalische und menschliche Bindung entstanden. Im Einzelnen sind das seine Frau Helene Blum an der Violine, Kirstine Pedersen am Cello, Mikkel Grue und Mattias Pérez an der Gitarre und Sune Rahbek an der Percussion. Viele weitere Mitmusiker tragen zu Nuancen in den verschiedenen Stücken des Albums bei. Die Releasetour in Deutschland wird im November fortgesetzt.
Bernd Künzer
 GEMMA HAYES: Bones + Longing
GEMMA HAYES
Bones + Longing
www.gemmahayes.com
(Chasing Dragons GH233939/Membran)
11 Tracks, 11:28 , mit engl. Texten u. Infos


Für Gemma Hayes ist die Musik zugleich Kampf und Tagtraum. Schon als Kind fasziniert sie, „wie ein Song die Atmosphäre eines Raumes bestimmen kann und in die Menschen eindringt, um sie für kurze Zeit zu verändern. Ich mag wohin sie mich trägt“, erklärt die Irin. Süchtig sei sie nach dem Songschreiben, wie in einer Abhängigkeit gefangen, die ihr Schmerzen bereitet und doch Lebenselixier ist. Ihr nunmehr fünftes Album ist Zeugnis einer musikalischen Arbeit, die Hayes besonders mental gefordert hat. Ihr Anliegen, die Songs nicht in verkopft-überproduzierten Versionen zu veröffentlichen, zahlt sich aus. Von einigen der elf Tracks ist der allererste Take im Studio zu hören, „inklusive aller Ungenauigkeiten“, so Hayes. Sich in den Songs auf diese Weise menschlich unperfekt und ungeschönt zu zeigen, rang der Sängerin einiges an Mut ab, aber das Ergebnis dankt es ihr. Eindringliche Songs sind es geworden, am schönsten, wenn Hayes’ Stimme nur minimal begleitet wird und sehr nah und persönlich wird. Sie singt über finstere Sehnsüchte, dysfunktionale Beziehungen und den Schmerz in der Liebe. „There’s a name for the pain that sits in equal parts between us“, dichtet sie in „Making My Way Back“. Wunderschön.
Judith Wiemers

 HOLLER MY DEAR: Eat, Drink & Be Merry
HOLLER MY DEAR
Eat, Drink & Be Merry
www.hollermydear.com
(Traumton Records 4620/Indigo)
15 Tracks mit Texten, 65:36


„Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut!“, heißt es in Luthers Bibelworten. Weil Holler My Dear sich fürs gute Essen und Trinken erwärmen, stellen sie ihrem zweiten Album dies Zitat voran: „Eat, drink and be merry.“ In der Bibel erwidert Gott, dass es mehr im Leben gebe als nur Genuss. Doch die Band setzt nicht auf Botschaft, sondern auf ihr musikalisch großartiges Miteinander. Schon die Gruppierung zeigt, Europa ist längst enger zusammengewachsen, als die EU in Brüssel ahnt. Zwei Österreicher, zwei Russen, ein Engländer und ein Deutscher bewegen Mandoline, Gitarre, Akkordeon, Schlagzeug und Bass unverbraucht und mühelos in einer wundersamen Welt polyfoner Klänge. So wie Stephen Moult, einst Sängerknabe der Royal Opera in London, sein geniales Trompetenspiel damit verquickt, so quicklebendig und nonchalant ist Laura Winklers Gesang. Holler My Dears wunderbare Clever-&-Smart-Arrangements bekunden, progressive Musik lässt sich auch ohne elektronische Effekte machen. Eine farbenprächtige Widmung an die Hauptstadt: Hier steppt der Berliner Bär jazzig Avantgarde-verliebten Chansonpop à la russe in balkanesker Weltmusik.
Stefan Sell
 JETLAG ALLSTARS: Vintage
JETLAG ALLSTARS
Vintage
www.jetlagallstars.info
(Quinton Q-1403-2)
12 Tracks, 55:25


Auf das Wiener Quinton-Label ist gemeinhin Verlass: Es ist bekannt für Produktionen zwischen Jazz und Weltmusik außerhalb genormter Standards und mit hohen Anforderungen an die Klangqualität. Diesen Anspruch gilt es zu halten mit dem Trio um dem Violinisten Mario Gherghiu, dem Gitarristen Klaus Wienerroither und dem Bassisten Ernnö Rácz, das sich den dummen, weil nicht lustigen oder sonstwie passenden Namen „Jetlag Allstars“ gegeben hat. Geboten wird eine Rundreise durch die alten Jahre. Denn gut abgehangen, nämlich vintage, ist die Musik, bei denen zweimal die neu gegründete Barbara Bruckmüller Big Band mitspielt. Mit leichtem Pusztatemperament wird an sattsam bekannten Klassikern von unter anderem Mozart, Bach, Lehár und Strauss gezündelt, werden Rock, Bluegrass und Jazz zitiert. Mit Fug und Recht lässt sich nun darüber diskutieren, ob die Welt tatsächlich noch einen Versuch braucht, in der Klassik verjazzt oder gypsyfiziert bzw. Jazz oder Gypsymusik mit Klassik fusioniert werden muss. Anscheinend, denn das Fusionsubgenre Klassikjazzfolk füllt längst Regale und ist besonders in Wien beliebt. Wer noch Platz neben Jacques Loussiers verjazzten Bach-Einspielungen hat, darf zugreifen.
Harald Justin

 LA BANDA DI PIAZZA CARICAMENTO: Il Sesto Continente
LA BANDA DI PIAZZA CARICAMENTO
Il Sesto Continente
www.felmay.it
(Felmay fy8221)
11 Tracks, 44:25 , mit Texten


Davide Ferrari, Bandleader des Genueser Multikultiorchesters, erschuf sich seine eigene Vision des Paradieses: „Der sechste Kontinent ist ein idealer Ort, wo Migranten und Reisende ihre Träume verwirklichen können, wo alle mit offenen Armen empfangen und Emotionen gelebt werden, wo Traditionen und die Kreativität blühen.“ Musikalisch fühlt sich diese Welt recht funky an. „Rock The Casbah“, dieser alte Clash-Song, fetzt mit einem babylonischen Sprachgewirr über alle Kontinente hinweg. „Final Call“, ein Folksong der Irin Lorraine McCauley macht unversehens eine Reise über Tadschikistan in den Senegal. Die vielen ausdrucksvollen Sologesangsstimmen in unterschiedlichsten Sprachen und Timbres sorgen für Abwechslung. Vergleiche zu den Projekten von Daniele Sepe drängen sich auf. Wo der Neapolitaner seine Tradition mit radikalen Stilbrüchen konfrontiert, versucht die Banda aus unterschiedlichsten Musikstilen und Kulturen eine Einheit zu schaffen. Alles klingt erstaunlich organisch und ungezwungen. 25 Musikschaffende aus Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika lassen ihre Kulturen in ein Gesamtwerk einfließen. Wären Politiker Musiker, könnte der sechste Kontinent Wirklichkeit werden.
Martin Steiner
 MAIRI MacINNES: Gràs
MAIRI MacINNES
Gràs
www.mairimacinnes.com
(Puffin Recordings PUFFIN01CD)
10 Tracks, 42:32 , mit engl. Infos


Eigentlich braucht man dieses Album gar nicht zu hören, um seine Qualität zu beurteilen. Wenn Musiker wie Aaron Jones, James Mackintosh oder Hamish Napier oder gar die Capercaillie-Sängerin Karen Matheson mit von der Partie sind, dann kann eigentlich nichts schiefgehen. Wenn man allerdings die wunderbare gälische Stimme von Mairi MacInnes kennt, dann kriegt man die CD gar nicht schnell genug in die Lade. Das erste Soloalbum seit gut zehn Jahren beginnt allerdings mit gerunzelter Stirn: Moment, macht MacInnes jetzt auf auf Esoterik? Keine Sorge, es ist lediglich eine kurze atmosphärische Einstimmung, und dann können wir uns voll und ganz auf diese einzigartige Stimme konzentrieren. Ob sie nun anhand einer Aufnahme aus dem Jahr 1972 mit ihrem Onkel im Duett singt, ob sie rhythmische und optimistische gälische Mouth Music oder hypnotisierende Waulking Songs der arbeitenden Frauen aufleben lässt oder ob sie herzzerreißende Liebes- und Abschiedslieder zelebriert, immer ist es der Gesang mit seiner ganzen Reife, der fasziniert. Wenn es denn eines Beweises bedurft hätte, dass Mairi MacInnes eine der ganz großen Sängerinnen Schottlands ist, dieses Album liefert ihn.
Mike Kamp

 MONSIEUR DOUMANI: Sikoses
MONSIEUR DOUMANI
Sikoses
www.monsieurdoumani.com
(Eigenverlag)
13 Tracks, 53:38 , mit Foto u. engl. u. zypr. Infos


In Heft 1/2015 besprachen wir das Debütalbum dieses zypriotischen Trios, und schon schieben Demetris Yiasemides, Angelos Ionas und Antonis Antoniou ihre Nummer zwei nach. Im Unterschied zu Grippy Grappa präsentiert Sikoses nicht so viele verschiedene Musikstile, sondern erscheint musikalisch mehr aus einem Guss, wenn auch die Zwischenspiele abwechslungsreich zwischen traditionelleren und jazzigeren Partien rangieren. Der Schwerpunkt lieg eindeutig auf den Texten, die im regionalen Idiom des zypriotischen Griechisch verfasst und so Griechen nicht ohne weiteres verständlich sind, erst recht nicht dem Rezensenten, der aber auf englische Übersetzungen im Beiheft zurückgreifen kann. Doch auch hier müsste man wohl noch mehr Erklärungen haben, um die vielen den Zyprioten wohl geläufigen Anspielungen zu verstehen. Es geht jedenfalls um eine Demaskierung gesellschaftlicher und politischer Missstände, die ironisch auf den Arm genommen werden. Sikoses ist der Name des letzten Schlemmens vor der Fastenzeit, des Karnevals eben, sodass die Lieder gleichsam musikalische Büttenreden sind. Der an die tschechische Gruppe Krless erinnernde Gesang lässt auch des Zypriotischen Unkundige den Witz der Lieder erspüren.
Michael A. Schmiedel
 PETE MORTON: The Frappin’ And Ramblin’ Pete Morton
PETE MORTON
The Frappin’ And Ramblin’ Pete Morton
www.petemorton.com
(Fellside Recordings FECD261)
10 Tracks, 46:51 , mit Texten


In der Kategorie „Worte pro Minute“ ist Pete Morton unschlagbar und hat für diese Stilrichtung einen eigenen Begriff gefunden, den Frap – eine Mischung aus akustischem Rap, Talking Blues und englischem Folksong. Davon hat der Engländer, der immer mal wieder kurze Gastspielreisen nach Deutschland unternimmt, gleich drei auf seinem neuen Album. Aber auch ansonsten schreckt Morton vor Worten nicht zurück. Das passt aber, oder wie nennt man das, wenn tatsächlich ein Lied über die Renationalisierung der Eisenbahn tagelang die Ohren blockiert? Morton legt meist großen Wert auf Inhalte, politisch, ja, und parteilich sowieso, denn er ergreift Partei für die Kleinen, die Immigranten, die Farmer, die Bettler, all die, die das System ausspuckt. Das macht er mit seiner kräftigen Stimme und Weggenossen wie Chris Parkinson (Melodeon, Akkordeon) , Jon Brindley (Fiddle, Gitarre) oder der kürzlich leider verstorbenen Maggie Boyle F(löte, Gesang). Der weitestgehende Livecharakter der Aufnahmen kommt dem rauen Charme der Lieder entgegen. Pete Morton eben, wie wir ihn lieben.
Mike Kamp

 ORIOXY: Lost Children
ORIOXY
Lost Children
www.orioxy.net
(GLM Music EC 562-2)
11 Tracks, 51:41 , mit arab., engl., franz. u. hebr. Texten


Gleich vorweg: Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia hat die Band in ihre „prioritäre Jazzförderung“ 2015-17 aufgenommen. Seit 2008 präsentiert sich Orioxy als musikalischer Flickenteppich unterschiedlichster Stilrichtungen, wobei gleich mehrere Sprachen, konkret englisch und französisch, aber auch hebräisch und sogar arabisch weniger das Traditionelle oder Folkloristische, sondern vielmehr eine Prise Fremdartigkeit einbringen. Als Seele des Ensembles und deren dritten Albums, im Pressetext als „turning point“ beschrieben, sind die beiden Frauen Yael Miller (voc, Texte) und Julie Campiche (harp) zu nennen, begleitet von der Rhythmusformation Manu Hagamnn (b) und Roland Merlinc (dr) . „Ishah“ (dt. „Frau“) mag als musikalischer Prototyp dieses Albums herhalten, in dem insbesondere das Harfenspiel fasziniert. Nicht nur sprachlich fällt „Bakhur Meshu’amam“ (dt. „Gelangweilter Kerl“) aus dem Rahmen: Die sonst eher weicheren Melodien werden hier, neben dem hebräischen Gesang von Miller, gesanglich vom Sami Darg Team, Rappern aus Gaza ergänzt. Schließlich darf zum Ausklang auch eine Neuinterpretation der Lennon-McCartney-Komposition „Blackbird“ nicht fehlen. Das alles ist spannend anzuhören.
Matti Goldschmitt
 PLAYING CARVER: Leave The Door Open
PLAYING CARVER
Leave The Door Open
www.brokensilence.de
(Leave The Door Open/Broken Silence THMLQ 423689)
12 Tracks, 43:35 , mit engl. Infos


Schon die Namen versprechen eine internationale Supergruppe. Das so ungewöhnliche wie großartige Projekt Playing Carver mit John Parish, Marta Collica, Boris Boublil, Gaspard LaNuit, Csaba Palotaï, Jeff Hallam und Marion Grandjean legt ein Folkrockalbum der ganz besonderen Klasse vor. Jeder Musiker übernimmt bei den Songs wechselnde Aufgaben und Instrumente. Die Titel sind Vertonungen von Kurzgeschichten des amerikanischen Schriftstellers Raymond Carver, der 1938 geboren wurde und 1988 gestorben ist. Alle seine Bücher sind auch in deutscher Übersetzung erschienen. Carver-Storys bilden die Grundlage des Robert-Altman-Films Short Cuts, auch in dem 2015 mit mehreren Oscars ausgezeichneten Film Birdman spielt ein Carver-Text – „Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden“ – eine zentrale Rolle. Das Musikprojekt Playing Carver ist eine wunderbare Hommage an diesen früh verstorbenen Autor.
Annie Sziegoleit

 ETTA SCOLLO: Scollo Con Cello – Tempo Al Tempo
ETTA SCOLLO
Scollo Con Cello – Tempo Al Tempo
www.jazzhausrecords.com
(jazzhaus records JHR 107)
14 Tracks, 48:09 , mit ital. u. dt. Texten


„Dare Tempo al Tempo“, der Zeit Raum geben, abwarten, was sich entwickelt. Diese Gedanken müssten all denjenigen Musikern mit auf den Weg gegeben werden, die ihren Kompositionen den Atem rauben. Scollo Con Cello ist eigentlich ein Duoalbum. Hier die Stimme und Gitarre der Sizilianerin, da das Cello, ab und an die Mandoline und Duostimme von Susanne Paul. Die Reduktion auf das Wesentliche, der Verzicht auf Overdubs und Gastmusiker schaffen Raum und eine intime Atmosphäre, die zum genauen Zuhören einlädt. Die musikalische Bandbreite reicht von barocken Tönen über Volkslieder bis zum Kunstlied. Etta Scollo philosophiert über die (fehlende) Zeit, Lieder zu schreiben, das Leben und die Liebe ? gesungen auf Italienisch, Deutsch, einmal auch auf Sizilianisch. Das Textmaterial stammt aus eigener Feder, aber auch von den sizilianischen Dichtern Salvatore Quasimodo und Sebastiano Burgaretta oder dem deutschen Lyriker Joachim Sartorius. Hervorzuheben ist das Beiheft mit guten deutschen Übersetzungen aller Lieder. Scollos gesangliche Oktavensprünge, der barocke Schönklang und die verspielten Elemente dieses Duoprojekts entführen in eine weibliche Klangwelt mit eigener Magie.
Martin Steiner
 ROBIN WILLAMSON: Trusting In The Rising Light
ROBIN WILLAMSON
Trusting In The Rising Light
www.pigswiskermusic.co.uk
(ECM 2393)
12 Tracks, 51:07 , mit engl. Texten


Warum findet der in Wales lebende Schotte Williamson eigentlich in der Folkszene so gut wie nicht mehr statt? Will er das selbst so? Selbst aufgeschlossene Festivals wie das TFF haben den über Siebzigjährigen ignoriert. Liegt es daran, dass er auf dem coolen Münchner Jazzlabel ECM veröffentlicht? Unvorstellbar! An der Musik jedenfalls kann es nicht liegen. Da gibt es sehr nachvollziehbare Parallelen zu seiner Arbeit mit der Incredible String Band oder später der Merry Band. Die zwölf eigenen Songs interpretiert er wie immer auf Harfe, Gitarre, Hardangerfiedel und Whistle sowie mit seinem typischen Gesang, einer bardischen und freien Interpretation der Melodie. Dazu kommen auf der CD (live spielt er momentan meist gemeinsam mit seiner Frau Bina) zwei amerikanische Kollegen, der Violinist Mat Maneri und der Vibrafonspieler und Percussionist Ches Smith. Mit letzterem zelebriert er eines der ungewöhnlichsten Stücke des Albums: „Night Comes Quick In LA“ – Percussion und Gesang, absolut faszinierend. Ansonsten sind unter anderem keltische, indische oder jazzige Elemente ebenso zu hören wie Blueseinflüsse. Doch, der Mann ist noch ausgesprochen fit! Wer Williamson lange nicht gehört hat, aber ihn vor dreißig Jahren mochte – einfach mal wieder vorbeihören.
Mike Kamp