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Backkatalog   Ausgabe Nr. 1/2022   Internetartikel
 

Ausklang



Elza Soares * Foto: Ministério da Cultura, Wikipedia CC BY 2.0 sw

ELZA SOARES


23.6.1930, Rio de Janeiro, Brasilien
bis 20.1.2022, Rio de Janeiro, Brasilien


Brasilianische Ikone, „Königin des Samba“, die dieses Genre mit Jazz, Hip-Hop und Funk mischte. Die BBC verlieh ihr 1999 den Titel „Sängerin des Jahrtausends“. Soares veröffentlichte mehr als dreißig Alben, das letzte erschien 2019 mit dem Titel Planeta Fome.





Endo Anaconda * Foto: Frank Zauritz

ENDO ANACONDA


6.9.1955, Burgdorf, Kanton Bern, Schweiz
1.2.2022, Olten, Kanton Solothurn, Schweiz


Ds läben isch e geischterbahn
Am morge früeh im erschte tram
I zieh mis gsicht ab blybe gloon
Und fahre bis zur ändstation

„Das Leben ist eine Geisterbahn. Frühmorgens im ersten Tram, ziehe ich mein Gesicht aus, bleibe Narr und fahre bis zur Endstation.“

Mit dem Lied „Geischterbahn“ erhielt Endo Anaconda mit seiner Band Stiller Has 2007 den Liederpreis der Liederbestenliste. Die Geisterbahnfahrt ist eine Metapher für das Leben des Sängers. Da sitzt er im Berner Tram und schaut sich die geschniegelten Leute an, die zur Arbeit fahren. Da will er nicht dazugehören. Eigentlich möchte er gar nicht mitfahren. Nur schafft er es nicht auszusteigen.
Als Andreas Flückiger wird Endo Anaconda hineingeboren ins Berner Hinterland. Vier Jahre später stirbt sein Vater nach einem Autounfall. Seine Mutter zieht zurück in ihre Heimat Österreich. Den kleinen Andreas steckt sie in ein katholisches Internat. Er findet dort keine Heimat, nur die Hölle. Gegen diese stemmt er sich später mit Alkohol und Drogen und sucht das Glück in einer kommunistischen Organisation. 1981 zieht er nach Bern, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs und kleinen Gaunereien durch, lernt seine späteren Bandkollegen kennen und gründet mit ihnen Stiller Has. Gitarrist Schifer Schafer schreibt die Melodien, Endo Anaconda die Texte – wortreich, von zärtlich bis knallhart, kritisch, aber auch einfühlsam, wild, witzig und würzig. Er erfindet einen Berner Blues, den es so noch nie gegeben hat – und nie mehr geben wird. Erstaunlich daran ist, dass Stiller Has mit ihrer Musik Erfolg haben. Offenbar fühlen sich viele Schweizer in Endo Anacondas Suche nach einem Platz auf dieser Welt mehr zu Hause als in derjenigen der Schweizer Rockprominenz mit ihren Liebesnächten an Bergseen.
Endo Anaconda war ein unermüdlicher Schaffer, ein Bühnentier. Er war ein überaus angenehmer, sprühender Gesprächspartner, der sich in jede seiner Karten blicken ließ. „Ich stehe auf der Bühne, bis ich umkippe.“ Ach Endo, hättest du früher mit Saufen und Rauchen aufgehört, wäre das nicht so früh passiert. Hoffen wir nur, dass dein Wunsch in „Geischterbahn“, ein Grab mit Blumen zu bekommen oder wenigstens mit einem leeren Blumentopf darauf, in Erfüllung geht.

Martin Steiner



Norma Waterson * Foto: Ingo Nordhofen

NORMA WATERSON


15.8.1939, Hull, Yorkshire, England,
bis 30.1.2022, Robin Hood’s Bay, Yorkshire, England


Norma Christine Waterson, so ihr voller Name, war als Mitglied der A-cappella-Familiengruppe The Watersons eine der einflussreichsten Sängerinnen des englischen Folkrevivals, gesegnet mit einer Stimme von hohem Wiedererkennungswert. 1972 heiratete sie Martin Carthy, und aus dieser Ehe entstammt Tochter Eliza Carthy. Zusammen trugen die drei den inoffiziellen Titel „First Family of Folk“. Als Eliza musikalisch erwachsen wurde, firmierte die Familie (gemeinsam mit Saul Rose) erfolgreich als Waterson:Carthy. Auch als Solokünstlerin, die Genregrenzen gerne ignorierte, war Norma Waterson erfolgreich. Gleich ihr erstes Album wurde 1996 für den prestigeträchtigen Mercury Prize nominiert und musste sich nur der Gruppe Pulp geschlagen geben. 2003 verlieh ihr die Queen den MBE-Orden (Member of the British Empire) für ihre Verdienste in Sachen Folkmusik. Legendär war der Auftritt von Waterson:Carthy auf dem damaligen TFF Rudolstadt. Beim total verregneten Konzert auf der Heidecksburg war die Band so begeistert vom wetterresistenten Publikum, dass sie sich in Solidarität vor die Bühnenüberdachung in den Regen begaben. Norma war in den letzten etwa zehn Jahren nicht bei bester Gesundheit und starb an einer Lungenentzündung.

Mike Kamp



Maurizio Martinotti * Foto: Archiv Ethnosuoni

MAURIZIO MARTINOTTI


1953, Casale Monferrato, Italien,
bis 31.12.2021, Alessandria, Italien


Am späten Silvesterabend erreichte mich die traurige Nachricht, dass Maurizio Martinotti gestorben ist. Er hat so viel für den Folk und die traditionelle Musik in Italien und ganz Europa getan, war ethnomusikologischer Forscher, Komponist, Arrangeur, Musiker, Sänger und Leiter mehrerer wegweisender Bands wie La Ciapa Rusa, Tendachënt oder des Ensemble del Doppio Bordone. Gleichzeitig war er Labelchef, Verleger, Kunstverwalter, Tourneeveranstalter und Leiter des Festivals Folkermesse. Vor allem aber liebte er seine Familie. Er war ein Geschichtenerzähler mit einem unerschöpflichen Vorrat an lustigen Anekdoten. Und jemand, der gerne viel und gut aß – Jean Blanchard erinnert sich vielleicht daran, wie wir drei in einem kleinen Familienrestaurant hoch in den piemontesischen Hügeln Trüffel gegessen haben. Leidenschaftlich begeisterte er sich für alle Arten von Musik, war intelligent, witzig, neugierig auf die Welt und alles, was dazugehört. Trotz gesundheitlicher Probleme in den letzten Jahren kam es mir vor, als sei er unsterblich. Er hat in Italien viel für unsere Band Blowzabella getan, und ich hatte das große Glück, an zwei seiner paneuropäischen Volksmusikprojekte beteiligt zu sein – Il Viaggio di Sigerica und Pau i Treva. Musiker, Musikerinnern und Publikum haben ihm viel zu verdanken. Wie vielen anderen bleiben mir zahlreiche Geschichten und wertvolle Erinnerungen an die Zeiten, die ich im Laufe der Jahre mit ihm verbringen durfte. Meine Gedanken sind bei seiner Frau Maura und Tochter Gabrielle.

Paul James



Bernie Conrads * Foto: Ingo Nordhofen

BERNIE CONRADS


8.10.1950, Aachen,
bis 17.11.2021, Bad Mergentheim


Bernie war für mich eine Schlüsselfigur und extrem prägend für meinen musikalischen Werdegang. Als ich 1977 das erste Album seiner Bernies Autobahn Band hörte, wusste ich erst mal nicht, wie mir geschah. Da war dieser komische Bandname, der eine Truckerband vermuten ließ. Aber dagegen stand der groovige Folksound mit diesen sensationellen eigenen Texten und fünf Typen, die so gar nichts mit der amerikanischen Truckerromantik zu tun hatten. Fünf Hippies, die auf ihren akustischen Instrumenten mehr Druck draufhatten als die meisten Rock-’n’-Roll-Kapellen in meiner Umgebung. Klar gab es davor schon Udo Lindenberg, der sprachlich neue Horizonte aufgemacht hatte, aber die Musik konnte leider nicht mit meinen musikalischen Vorbildern mithalten. Es wirkte immer etwas zu sehr bemüht und verlor sich in der großen Rock-’n’-Roll-Inszenierung. Bernies Autobahn Band hingegen war einfach da und spielte! In Kneipen, in Clubs, auf Festivals, bei irgendwelchen Demos. Jeden Monat zwanzig bis dreißig Gigs! Während bei den Festivals die coolen Rock-’n’-Roller noch ihr massives Equipment in ihren Bussen verstauten, waren unsere Folkies schon mit den Mädels, dem ganzen Bier und den anderen Drogen im Partymodus. Das war damals für mich die Erleuchtung beziehungsweise erstmalig erlebte Diskrepanz zwischen Sein und Schein.

Auch mein Fansein wurde nicht hochnäsig angenommen, sondern nach dem Motto: Du findest das gut, dann bist du einer von uns. Schnell lief man sich öfter über den Weg, und ich fing auch an, meine ersten Songs zu schreiben. Ich spielte sie Bernie vor, er gab mir Ratschläge, und irgendwann hatte ich einen Song, den er nun wieder so gut fand, dass er ihn mit seiner Band machen wollte. Das war für mich quasi der Ritterschlag. Von da an entwickelte sich eine rege Zusammenarbeit. Ich spielte bei einigen Produktionen mit, die immer sehr chaotisch abliefen, da Bernie und seine Jungs das Straßenpartyleben auch im Studio nicht ablegten.

Bernie schrieb auch nach dem Ende der Band Ende der Achtziger fast täglich einen Song. Ich glaube, das Schreiben war über viele Jahre wirklich sein Lebenselixier. Er konnte in einer sehr ungekünstelten, leichten Art und Weise über Alltägliches schreiben wie kein anderer. Die Zeilen „Der Henkel riss ab, alles fiel auf den Boden – Kartoffeln, Tomaten und Paprikaschoten.“ aus dem Song „Tage wie dieser“ sind ein perfektes Beispiel. Eine Liebesgeschichte, die so nah am Zuhörer, der Zuhörerin ist und auch nach über vierzig Jahren immer noch so klingt, als wäre sie gerade gestern geschrieben worden.

Darüber hinaus war er ein Meister darin, die Worte rhythmisch so passend zu setzen, dass es schon beim Lesen swingte. Es waren für mich immer absolute Höhepunkte, zu Bernie zu fahren und mit ihm – oder auch im Trio mit unserem Freund Danny Dziuk – Geschichten zu spinnen und sich diebisch daran zu erfreuen, ohne irgendwelche kommerziellen Gedanken dabei zu haben. Ob es Geschichten über den Kühlschrank, Wellness Werner oder Willie und Gerd waren. Wir kamen teilweise stundenlang aus dem Lachen nicht mehr raus. Ganz egal, ob am Ende ein fertiger Song dabei rauskam oder wir nur Spaß an den Fragmenten hatten. Für Bernie war der Weg das Ziel.

Er war keiner für die große Bühne, die wirksame Inszenierung. Er liebte es, mit Freunden zusammen zu musizieren oder Musik zu hören und neue Songs entstehen zu lassen. Er arbeitete gerne im Garten, hatte Freude am Kochen, versorgte die Familie und war Fan von Alemannia Aachen. Er engagierte sich in seinem kleinen Dorf bei Würzburg und ließ so gar nicht den großen Künstler raushängen. Aber genau das war er, ein großer Künstler! Der es nicht nötig hatte, das an die große Glocke zu hängen. „Ich sah die Würfel fallen, / Es war ein Sechserpasch. / Ich ließ die Korken knallen, / Ich ließ die Puppen tanzen / Und merkte im Nu, / Wer mir fehlte, wer mir fehlte warst du.“ Aus Bernies Song „Wer mir fehlte“. Ruhe in Frieden!

Stefan Stoppok, November 2021



Roland Schmitt * Foto: privat

ROLAND SCHMITT


3.7.1953, Mainz,
bis 18.10.2021, Saarbrücken-Eschringen


Letztes Jahr Walter Bast, dieses Jahr Roland Schmitt! Beide meldeten sich auf die Kleinanzeige im Magazin Sounds, Ausgabe 8/1977, mit der ich für die Unterstützung meines Projektes Michel – Folkzeitung warb, und beide waren als Einzige all die Jahre und Namensänderungen mit an Bord.
Roland arbeitete Zeit seines Berufslebens als Archivar des Printarchivs des Saarländischen Rundfunks. Folk- und Weltmusik waren seine Hobbys. Neben seiner Vorliebe für afrikanische und arabische Musik kümmerte er sich besonders intensiv zum Beispiel um das Schaffen des ehemaligen Small-Faces-Gitarristen Ronnie Lane und des Mick-Jagger-Bruders Chris Jagger. Beim folker stand er als zuverlässiger Rezensent insbesondere für den Bereich Afrika auf der Liste. Das letzte Mal trafen wir uns zur Feier eines halbrunden Geburtstags von mir und gaben uns das Versprechen, uns demnächst als Rentner häufiger zu besuchen. Das muss dann jetzt leider warten bis zur großen folker-Reunion ein paar Etagen höher.

Mike Kamp