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Backkatalog   Ausgabe Nr. 2/2019   Internetartikel
»Ich komponiere nie im Sommer.«
Joan Baez * Foto: Marina Chavez

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Aktuelles Album:

Gallipoli
(4AD/Beggars, 2019)


Cover Gallipoli


Beirut

Von der erträglichen Schwierigkeit des Seins

Wie schon auf den Vorgänger mussten die Fans der US-amerikanischen Indie-Folk-Popband auch auf das neue, fünfte Album vergleichsweise lange warten. Hinter Beirut steckt im Kern der Sänger und mit Vorliebe Trompete spielende Multiinstrumentalist Zach Condon: ein frisch gebackener Wahlberliner. Er meldet sich nach einer Auszeit – fürs Seelebaumeln und Lösen einer Kreativblockade – nun mit einem Dutzend Songs zurück. Das versetzt den Hörer von der Machart und vom Esprit her durchaus angenehm in die Anfangszeiten der Band.

Text: Katrin Wilke

Da führt so einiges auf die falsche Fährte bei Beirut. Ihr Name ist vor allem eine indirekte Hommage an den vor Kriegszeiten „Paris des Nahen Ostens“ genannten, multikulturellen Sehnsuchtsort. Jedoch lässt Beiruts Musik keine direkte Affinität für die libanesische beziehungsweise arabische Musik erkennen. Besser gesagt: bis dato nicht. Weiß man doch nie, wo es den Soundtüftler Zachary „Zach“ Condon mit besonderer Liebe für diverse Blasmusiktraditionen musikalisch noch hin verschlagen wird. Auch die Ortsbezeichnungen und anderen Lokalbezüge in Track- oder Albentiteln sind eine schöne, durchaus rätselhafte Konstante. Die Neuveröffentlichung Gallipoli wurde nach einer mittelalterlichen Küstenstadt in Apulien benannt. Doch auch der Titeltrack – die erste, bereits im Oktober erschienene Single –, offenbart in seiner poetisch-philosophischen Kürze keinerlei Verbindung zu diesem Ort. Jene süditalienische Region war allerdings neben New York und Berlin eine wichtige Station in der Arbeit am Album, das mit Stücken wie „Corfu“ oder „On Mainau Island“ noch weitere solche geografischen Hinweise gibt.

Und es geistert dieses unzutreffende Bild vom Independent-Kollektiv herum, das seit 2006 de facto als ein kreatives, gut vernetztes Ein-Mann-Unternehmen funktioniert. Condon setzt, auch diesmal, für die finale Umsetzung seiner Ideen im Studio und später bei den Konzerten stets auf eine kleine Crew mittlerweile vertrauter Mitmusiker. Im Alleingang mithilfe diverser akustischer und elektronischer Instrumente zu experimentieren und an seinen Visionen zu basteln, das war bei dem kapriziösen Nerd im Grunde immer schon so. 1986 in Albuquerque, New Mexico, in eine Familie mit irischen und deutschen Wurzeln hineingeboren, gab es „Musiker auf beiden Seiten. Mein Großvater väterlicherseits war Jazzmusiker und Bandleader in New York und nahm später viele Platten auf. Meine Großmutter mütterlicherseits spielte Akkordeon, Dudelsack und Piano. Sie sang und tanzte, war eine richtige Performerin und große Musikerin!“. Er dagegen möge das Performen gar nicht, fügt er schmunzelnd hinzu.

Überhaupt lacht der lakonische US-Amerikaner viel an diesem verregnet-grauen Berliner Nachmittag. Eine Stimmung, die dem dunkel gekleideten Musiker nach eigener Aussage behagt, der später noch felsenfest kundtun wird: „Ich komponiere nie im Sommer.“ Und tatsächlich entstanden auch die Lieder für Gallipoli im Winter, um dann im Laufe der folgenden zwei Jahre bis 2018 ausgebrütet zu werden. Condons Lachen, öfters in eher tristen Zusammenhängen, hat mitunter eine etwas ironische Note. Etwa wenn es um seine Familiengeschichte geht, die man sich beim mit Trompete und Drumcomputer intonierten Song „Family Curse“ als kompliziert vorstellen darf. „Die Condons leben in der Regel nicht lange“, merkt der Singer/Songwriter lachend an. Jemand, der sein Album mit den Zeilen „When I Die“ aufmacht und auch den Song so nennt, scheint die Endlichkeit des Lebens nicht allzu sehr zu schrecken. Ebenso wenig seinen Vater, der Condon zufolge geradezu bestürzt das sechzigste Lebensjahr vollendet und jetzt, sechs Jahre später, vermutlich einen neuen Familienaltersrekord aufgestellt hätte.

Der Vater war und ist auch von großer, durchaus ambivalenter Bedeutung für das musikalische Fortkommen des Sohnes. Der Wunsch, aus ihm einen Gitarristen zu machen, scheiterte nicht allein an einer Handgelenkverletzung in der Kindheit. „Mein Vater gab mir damals eine Gitarre. Doch ich sagte ihm, ich wolle lieber eine Trompete. Denn ich hatte die Mariachi-Bands in Santa Fe gesehen und wusste daher: Die möchte ich spielen!“ Und dies tut er bis heute am liebsten. Immerhin kommt auch die Ukulele in Condons großem Klangkosmos vor, in dem die Saiteninstrumente weitestgehend fehlen. Darin übernimmt nach eigener Ansicht sein zumeist etwas wehmütig dahinfließender Gesang nur die Rolle eines zusätzlichen Instruments. Zudem wird Gallipoli deutlich vom Sound elektronischer Tasteninstrumente zusammengehalten: von modularen und Moog-Synthesizern, Hammondorgel und deren italienischer Farsifa-Schwester. Diese schon in den Sechzigern in der Popmusik eingesetzte Orgel spielt eine Schlüsselrolle auf dem neuen Beirut-Album; sie gab sogar den entscheidenden Impuls. Auf ihr hatte der Autodidakt Zach Condon bereits das Gros der Songs für die ersten beiden Veröffentlichungen ( Gulag Orkestar , 2006, und The Flying Club Cup , 2007) komponiert. „Ich war bei der Arbeit an dem Album von der Idee beseelt, mich zu den alten Aufnahmeformen zurückzubegeben und dabei etwas von meiner damaligen Geisteshaltung wiederzugewinnen: völlig ohne den Gedanken an ein Publikum oder an Kritiker. Es ging mir darum, dies ein wenig zurückzuholen.“

Das alte Klangmöbel wurde also mithilfe des Vaters aus dem Elternhaus in New Mexico in die damalige New Yorker Wohnung des Sohnes verfrachtet. Der Youngster hatte es einst vom allerersten Lohn im Center for Contemporary Arts in Santa Fe erstanden. Ein Zirkusmusiker hatte diese nicht mehr ganz funktionstüchtige Orgel dort zurückgelassen. „Das Ding hat eine Drum Machine und viele Optionen zum Komponieren. Du kannst die Akkorde spielen, die du spielen möchtest, zum Beispiel einen Walzer oder eine Walking-Bass-Line. Und so konnte ich Stücke kreieren – erstmals alles auf einmal, an einem Ort! Zudem ist auch der Klang dieser Orgel sehr eigen, mit all ihren soundspielerischen Optionen. Sehr wichtig für mich. Mit der Farfisa hatte ich somit praktisch zum ersten Mal eine komplette Band. Bis dahin war ich ganz ohne Leute aufgewachsen, mit denen ich meine musikalischen Interessen hätte teilen können. Unglücklicher- und glücklicherweise, muss ich sagen.“

Wieder eine dieser Ambivalenzen, die sich durchs gesamte Gespräch ziehen wie überhaupt durch das Leben und Werk Zach Condons. Eine der frappierendsten ist vielleicht, dass der Folk-Pop-Barde, dem die Fans in den meist früh ausverkauften Konzerten an den Lippen hängen, es gar nicht so mit Songschreiben hat. Er favorisiert ganz klar das Komponieren, die Melodie, die das von ihm teils mühevoll ersonnene und intonierte Wort letztlich wohlklingend und suggestiv umhüllt beziehungsweise bettet. „Ich hasse es zu schreiben, egal was. Ich legte mir immer wieder Notizbücher zu – einfach, um irgendwas aufzuschreiben und es schließlich doch zu verwerfen. Ich wollte keine Spur davon hinterlassen, keine meiner Gedankenknäuel.“ Und erneut begleitet der Musiker seine teils sehr persönlichen Geständnisse mit einem Lachen und betont, dass aus seiner Sicht gute Melodien das Entscheidende seien, „das, was uns in der Musik doch eigentlich umtreibt. Manche denken, der Spaß an ihr käme durch die Liedtexte. Aber was sie wirklich wahrnehmen, was sie hören, sind letztlich die Melodien! Da sich aber mit denen schwer oder gar nicht erklären lässt, warum wir Musik genießen, wird die Melodie gegenüber dem Text als zweitrangig eingestuft.“

So finden sich auf den bisher insgesamt fünf Studioalben auch immer wieder Instrumentals beziehungsweise längere gesanglose Instrumentalpassagen, die sich fast nahtlos zwischen Condons mit minimalen, oft existenzialistisch-nachdenklichen Textfragmenten versehene Vokalkompositionen schieben. Da ist weitestgehend kein Wunsch nach expliziten, schon gar nicht belehrenden, geschweige denn politischen Botschaften. Es sind „halt so kleine kuriose Gedanken, ist mehr ein Gefühl, nichts Konkretes. Ich denke, Musik ist etwas zu Unverfälschtes, um mit konkreten Texten unterfüttert auf die Welt losgelassen zu werden.“ Doch er spräche bei all dem hier nur ganz persönlich für sich, schiebt Zach Condon hinterher. Es sei keine Verurteilung derjenigen, die in ihrer Musik sehr wortreich seien, betont der grüblerische Mann, der sich bei seinen Auftritten, teilweise zur Ratlosigkeit der Fans, eher wortkarg zeigt.

Umso vollmundiger – auf Gallipoli geradezu süffig – ist die Musik selbst: eine Art Fernweh-Soundtrack von jemandem, der vor Berlin schon in Istanbul, Paris und New York gelebt hat und bei aller nachdenklichen Schwermut offensichtlich ein lustvoller Nomade geblieben ist. So wie schon vor elf, zwölf Jahren offenbart sich nun erneut Condons starke Nähe zu Balkan-Brass oder Mariachi-Kapellen. Solche traditionellen Anspielungen waren zumindest zur Anfangszeit Beiruts geradezu ein Alleinstellungsmerkmal – ein Novum im laufenden Indiepop- und Rockbusiness abseits der Weltmusikszenerie. Jene blasmusikalische Liebe wurde im titelgebenden italienischen Hafenstädtchen Gallipoli eher zufällig neu befeuert. „Da waren plötzlich diese Prozessionen, bei denen ich mich sehr an die Zozobra-Fiestas in Santa Fe erinnert fühlte. Dort werden diese riesigen Marionettenfiguren verbrannt, die ganze Zeit spielen Mariachi-Bands, und alle Welt zieht durch die Straßen. Ich denke, das hat viel bei mir im Kopf abgerufen und mich zum Nachdenken gebracht.“

Und so klingt es wieder mehr nach World Music und nach mehr Roots als das synthiepoplastige Vorgängeralbum No No No (2015). Zach Condon nahm seine einst gepflegte Spielweise wieder auf. Er war es gewohnt gewesen, eine Live-Brass-Sektion dabei zu haben, was ein sehr kraftvolles Gefühl gibt. „Wenn du aber allein ins Studio gehst, mit nur einer Trompete, dann fühlt sich das zunächst schwach an. Das Ganze zusammengesetzt, arrangiert und orchestriert, so wie ich es in Italien getan habe – das lässt wieder dieses Gefühl von früher hochkommen.“ Auf einigen der zwölf Tracks nahm sich der Beirut-Frontmann einen zweiten Trompeter und einen Posaunisten hinzu. Und auch live darf man natürlich eine richtige Band erwarten, wie Condon versichert. Im Fall dieses Globetrotters ist eher eine wo und wie auch immer formierte sogenannte Backing Band zu erwarten. An seinem neuen Wohnsitz Berlin, wo sich der Ex-New-Yorker schon durch frühere Visiten seine kleine Musiker- und Freundesbasis geschaffen hat, waren die beiden Konzerte Ende März im ihm schon gut vertrauten alten Ostberliner Radio-Funkhaus nach – wie es heißt – nur einer Stunde restlos ausverkauft. Womöglich ging es nicht so drastisch zu bei der ersten, sehr ausgiebigen 2019er-US-Tour des ohnehin schon lange sehr Europa-verbandelten Musikers. In die Auftrittszeit dort fiel übrigens auch sein 33. Geburtstag, den sich Mr. Condon im engmaschigen Konzertplan laut seiner Agenda offenbar freigehalten hat. Vielleicht feiert er ihn noch nach, auf seiner neuen Lebenswegetappe Berlin, die der zurückhaltend-leise Künstler vergleichsweise lautstark lobt: „Berlin zwingt dir keinen Lifestyle auf, zwingt dich nicht, auf eine bestimmte Art zu leben, fordert dich nicht auf: Kämpfe hierfür und dafür, erobere dir die Massen und so. All das tut einem Berlin nicht an. Es lässt dich dein Leben leben, wie es dir passt. Andererseits findet man hier alles, was man von einer internationalen Kulturmetropole erwartet, so man es denn will. Das ist perfekt für mich – im Vergleich zu den vielen Orten, an denen ich gelebt habe und wo ich mein eigenes Leben sehr stark in das Funktionieren der restlichen Stadt eintakten musste.“

Gleichfalls in Berlin fand der einzelgängerische Networker immerhin die Artwork-Lösung für das neue Beirut-Album. Die komplett unbeschriftete Papphülle der CD – herrlich passend zu Condons rhetorischem Minimalismus – präsentiert auf der Vorderseite ein sonderbar aus der Zeit gefallenes, durchaus rätselhaftes Stillleben mit kleiner Tigerfigur, die samt einer vertrockneten Blume auf einem umgedrehten Glas thront. Ersonnen hat das sein seit Langem in Berlin lebender Cousin Brody Condon. Der 1974 im mexikanischen Tuxpan geborene renommierte Künstler ist dem neu angekommenen Verwandten äußerlich und womöglich auch seelisch nicht unähnlich. Die beiden waren sich Mitte der Neunziger erstmals in Amsterdam, an Brodys damaligem Aufenthaltsort begegnet. Der zwischen Kunst und Tiefenpsychologie agierende Cousin schuf ein Coverfoto, für das er in Berlin nach Objekten suchte, welches Zachs zuvor gemachte Äußerungen widerspiegele. „Was du da auf dem Coverfoto siehst, ist quasi eine Skulptur meines inneren Gesichts – aus Brodys und meiner Perspektive“, resümiert der Musiker lachend. Na ja, warum sollte dies weniger rätselhaft sein als das gesamte restliche Universum, das Zach Condon ganz am Ende des Interviews beschreibt als einen „pretty fucking mysterious place“.