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Editorial

Lie­be Mu­sik­freun­din­nen und -freunde,

das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass ich mal einen Kirchenmann zitiere, und zwar den mittlerweile ehemaligen Bischof von Mainz, Karl Lehmann. Aber der Mann hatte einfach Recht, als er am 6. Mai in der Süddeutschen in einem Interview gegen die AfD Stellung bezog und meinte: „Aber dahinter steckt ja auch ein Protest, der auf ein Defizit in der Debatte hinweist. Es fehlt ein vernünftiger Begriff von Heimat und kultureller Identität. Es genügt nicht, einfach multikulturellen Optimismus an den Tag zu legen oder sich ein Europa ohne nationale Eigenheiten vorzustellen.“ Was den multikulturellen Optimismus angeht, sind wir vom Folker bestens aufgestellt, bei deutscher Heimat und kultureller Identität tun auch wir uns ungleich schwerer. Warum eigentlich?
Das Thema scheint jedenfalls auf der Tagesordnung zu sein, denn die Häufung, mit der in dieser Ausgabe über Heimat und kulturelle Identität im weiteren Sinne geschrieben wird, ist schon auffällig. Schauen Sie zum Beispiel mal, was meine charmante Seitennachbarin Gudrun Walther dazu sagt. Oder nehmen Sie Bombinos zwiespältigen Kampf der Tuareg zwischen Tradition und Moderne und Heimat überhaupt. Und die walisischen Freunde von 9Bach, für die die keltische Sprache ein unabdingbares Instrument (im wahrsten Sinne des Wortes) für ihre Selbstdefinition ist. Besonders interessant sind die Reaktionen auf Harald Justins Artikel „Nationalistische Giftgesänge“ aus Heft 3/2016, nachzulesen in der „Szene“ dieser Ausgabe.
All das zeigt mir mehr als deutlich: Internationalismus und Respekt für alle anderen Kulturen sind unendlich wichtig, aber sich ausschließlich international zu definieren hat unangenehme Nebeneffekte. Mit der scheinbar immer noch gültigen Entschuldigung, die braunen Horden hätten unsere Traditionen zertrampelt (was nicht zu leugnen ist) und auf ewig und immer unbenutzbar gemacht (was zu beweisen wäre), überlassen wir der nächsten braunen Welle das Feld – weil wir es nicht selbst bestellen, um im Bild zu bleiben. Selbst im Sinne einer unsentimentalen und vorwärtsorientierten Nutzung alter Lieder und Melodien. Es muss doch möglich sein – und das sage ich als Theoretiker –, die traditionelle Musik dieses Landes, die es gab und die zum Teil auch immer noch lebt, ebenso zu interpretieren und zu modernisieren, wie es viele unserer näheren und weiteren Nachbarn tun. Oder wir stellen ein für alle Mal fest, dass die Tradition unwiderruflich tot ist. Aber was ist mit den fortschrittlichen traditionellen Liedern, die im Zuge des Revivals in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts
Mike Kamp * Foto: Ingo Nordhofen noch gesungen und zum Beispiel im Kleinen dicken Liederbuch abgedruckt wurden? Alle tot? Ein klärender Beitrag zu dieser Frage wäre eine intensive Diskussion eben jener Themen im Folker, wo kulturelle Identität Bestandteil so gut wie jeden Artikels ist. Schließlich lautet unser Motto: „Alle Völker und ihre Kulturen sind berichtenswert und gleichberechtigt.“ Ähnlich wie in der vierten Strophe von Bertolt Brechts wunderbarer „Kinderhymne“ (die – das denken viele, wenn es denn so was überhaupt geben soll – die bessere Nationalhymne wäre): „Und weil wir dies Land verbessern, / lieben und beschirmen wir’s, / und das Liebste mag’s uns scheinen, / so wie andern Völkern ihrs.“
Die schönste Internationalität inklusive deutscher Spuren finden wir natürlich alljährlich im Festivalsommer. Nirgendwo deutlicher als beim Rudolstadt-Festival, das den Namen „TFF“ zwar abgeschafft hat, wo aber immer noch höchst intensiv getanzt und gefolkt wird. Oder beim Bardentreffen in Nürnberg, wo sich heutzutage kaum noch Barden treffen, dafür aber ausgezeichnete Künstler aus den Bereichen Folk, Lied und Weltmusik. Beide Events werden von uns freundlichst unterstützt, denn sie präsentieren quasi den klingenden Folker in seiner Bandbreite von ganz weit weg bis hierzulande.
Egal also, ob al fresco oder im Wohnzimmer, ich wünsche viel Spaß, auch bei ernsthafter Lektüre.



Ihr Herausgeber
Mike Kamp