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» Brasilien mitten im Atlantik. «
Karneval Kapverden * Foto: Cathrin Alisch

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Tradition als Soziokultur

Karneval auf den Kapverden

Musik nach Cesaria Evora

Cabo Verde, die Kapverden, der kleine afrikanische Inselstaat, rund fünfhundert Kilometer vor Senegal und mitten im Atlantik gelegen, stellt heute vielleicht eines der letzten großen Abenteuer für Globetrotter dar. Der Archipel ist touristisch kaum erschlossen und bietet doch mit seinen etwa achtzehn Inseln und Inselchen, wovon neun ganzjährig bewohnt sind, ein so großes Spektrum an Eindrücken in Bezug auf Flora und Fauna, Klima und geografische Besonderheiten ebenso wie hinsichtlich der buchstäblich vielfarbigen Bevölkerung in ihrer ureigenen Mischung zwischen Europa, Amerika und Afrika, dass sich an diesen Details die halbe Kolonialgeschichte festmachen ließe. Das schließt selbstverständlich auch alle kulturellen Äußerungen ein, insbesondere die von Musik und Tanz.

Text: Cathrin Alisch

Die Kapverden sind der Schifffahrt schon seit dem Mittelalter bekannt, nicht zuletzt wegen ihrer günstigen geografischen Lage auf halbem Weg zwischen Europa und dem Kap der guten Hoffnung, aber auch als kürzeste Verbindung zwischen Afrika und dem amerikanischen Kontinent. Jede der bewohnten Inseln könnte ihre eigenen Kapitel innerhalb der dunklen Geschichte von Sklaverei, Missbrauch und Menschenhandel schreiben, wovon noch heute als Kapriolen der Natur Menschen mit dunkler Haut und blonden Haaren oder blauen und grünen Augen Zeugnis ablegen. Die Inseln gehören zu den ärmsten Gegenden weltweit und gestalten dennoch auf ihre eigene Weise Weltmusikgeschichte mit.
Spätestens seit Cesaria Evora (1941-2011), die als „barfüßige Diva“ und Mornasängerin weltbekannt wurde (siehe auch Folker 3/2011), lässt sich diese melancholische Musik ebenso in einem Atemzug mit den Kapverdischen Inseln denken wie etwa Fado mit Portugal, Tango mit Argentinien oder Rembetiko mit Griechenland. Allen diesen Formen ist der Ursprung im einfachen Milieu gemein. Auch die kapverdische Morna, ein Relikt aus der Sklavenzeit, die musikalische Klage, die von Sehnsüchten und Weltschmerz handelt, wurde vor allem in Bars gesungen, in dem Fall in den Hafenkneipen von Mindelo.
Mag Praia auf Santiago auch die offizielle Metropole der Inselgruppe sein, so ist Mindelo auf São Vicente doch die heimliche Hauptstadt der traditionellen kapverdischen Musik. Hier und nirgendwo sonst begrüßt den auf dem Luftweg ankommenden Inselgast heutzutage Cesaria Evora, die „Königin des Morna“, als überlebensgroßes Standbild vor dem Gebäude des nach ihr benannten Flughafens. Und mag es in Praia inzwischen auch eine moderne Clubszene geben, auf São Vicente versammeln sich in der Baía das Gatas, der „Katzenbucht“, seit den Anfängen 1983 als kleiner Musikertreff inzwischen Tausende während des jährlichen dortigen Weltmusikfestivals im August um die Betonbühne am Strand.
Wird im Februar zwar durchaus auf allen bewohnten Inseln mehr oder weniger die Karnevalszeit gefeiert, ist auch hier unangefochten Mindelo, die zweitgrößte und definitiv kulturell lebendigste Stadt des Archipels, das Zentrum des kapverdischen Karnevals. Mit wenig Geld, aber viel Fantasie werden über Wochen prachtvolle Kostüme zusammengestellt und lange im Vorfeld Choreografien, gemeinsame Gesänge und Tänze in den jeweiligen Gruppen einstudiert, die dann mit enormer Ausdauer und echter Begeisterung über Stunden und Tage beziehungsweise nächtelang während der Umzüge zelebriert werden. Der Besucher erlebt sozusagen Brasilien mitten im Atlantik. Ausländische Gäste halten sich allerdings in vergleichsweise überschaubaren Grenzen. Den Rausch der Farben und Klänge inszenieren die Kapverdier zunächst aus purer Lebenslust und in erwachendem Selbstbewusstsein für sich selbst.
Vielleicht liegt hier einer der ersten und nicht unwichtigsten Aspekte der Musik auf den Kapverden nach Cesaria Evora. Nicht die „Kulturexporte“ nach Europa, sondern der Brückenschlag zwischen den Ärmsten der Armen und realisierbarem künstlerischem Ausdruck, Freude an Rhythmus, Musik und Tanz und die Eingebundenheit in soziale Gruppierungen vor Ort sind, was zunächst Aufmerksamkeit verdient. Dazu ist ein zweiter Blick in die innere Struktur und den Vorlauf, Ablauf sowie quasi Abspann des jährlichen Karnevals sinnvoll, denn er ist das zentrale Ereignis des Jahres, das sich quer durch die Familien, Generationen, Berufsgruppen zieht, und zwar bereits weit im Vorfeld.

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