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Poetischer Spiegel mit Sogwirkung

FELIX MEYER & PROJECT ÎLE
Die im Dunkeln hört man doch
(SPV Recordings), Mit dt. Texten u. Infos


Er blickt ins Dunkle der Menschheit und verbreitet doch nur Licht. Sein fünftes Studioalbum ist eine kraftvolle poetische Demonstration des deutschsprachigen Liedes. Dabei schaut der Berliner Sänger tief in die Abgründe menschlicher Grausamkeit, Ausgrenzung, Gier und Einsamkeit. Gleichzeitig feiert er mit seiner hervorragenden Band Project Île die Gemeinschaft, den Mut zum Protest, die Freiheit des Augenblicks, die Energie der Fantasie und das Mitgefühl. Schon der erste Song verbreitet Gänsehaut und eine unwiderstehliche Sogwirkung. „Der Mensch dem Menschen“ ist ein schonungsloser Spiegel des menschlichen Egoismus, der alles zerstört und bei dem schließlich „die Welt übernimmt“. Und in der gemeinsam mit Max  FELIX MEYER & PROJECT ÎLE: Die im Dunkeln hört man doch Prosa komponierten kritischen Ballade „Europa“ fügt der Songpoet mit eindringlicher Stimme hinzu: „Die Früchte des Reichtums fielen nicht weit vom Stamm und zogen gegen das Volk vor Gericht, bald hatten sie uns alles abgeschwatzt, verhökert und aberkannt.“ Mit „Steh auf!“ präsentiert der gelernte Dokumentarfotograf aber auch eine mögliche mitreißende Hymne für die Fridays-For-Future-Generation. Die von der gesamten Band komponierten exzellenten Arrangements zwischen Pop, Chanson, Folk, Jazz, Latin, Rock überzeugen durch ihren Tiefgang und sind durchaus radiotauglich. Das Herz der elf Stücke sind jedoch die vielschichtigen Texte, die fast ausschließlich aus Felix Meyers Feder stammen. Es ist eine unglaubliche Freude, in seine Leidenschaft für das Spiel mit den Worten und seinen Sprachwitz einzutauchen. Zeilen wie „Manchmal ist es mit dem Leben fast genau wie mit einem Lied, das es, wenn wir es nicht zusammen schreiben, niemals gibt“ kann man immer wieder lesen und ständig Neues in ihnen entdecken. Mit solchen Künstlern muss einem um die Zukunft der deutschen Liedermacherszene nicht bange sein. Ganz im Sinne von Meyers Worten aus dem gesellschaftskritischen Song „Das große Fest“: „Am Ende des Tunnels, sagt man, brennt noch Licht; einen Grund zur Beunruhigung gibt es nicht.“
Erik Prochnow

Folk aus Deutschland? Ja, sehr gerne!

NOBODY KNOWS
Ja, sehr gerne!
(Prosodia), DVD & CD, mit Texten u. Infos


Wer sich mit Leib und Seele der Musik verschrieben hat, gilt oft als wahnsinnig. Anders als mit Wahnsinn kann man auch das Mammutprojekt der Band Nobody Knows kaum bezeichnen. Die Band von Prosodia-Musikverlag-Chef Max Heckel feierte ihre Volljährigkeit mit großem Aufgebot. Ein Konzertprojekt mit dem Orchester der Musikschule Stendal, dem Theaterchor des Theaters Altmark, Gastmusikern, Familie und Wegbegleitern, auf die Bühne gebracht im Theater Stendal und mitgeschnitten auf DVD und CD. Neben dem Mitschnitt gibt es ein überbordendes, liebevoll gestaltetes Booklet und eine Videodokumentation. So fulminant wie die Aufmachung ist auch der Inhalt. Ja, sehr gerne! ist das Gegenteil von filigran. Das  NOBODY KNOWS: Ja, sehr gerne! Orchester trägt dick auf, und der Chor tut ein Übriges, eine „Wall of Sound“ zu erzeugen, die die deutsche Folkszene vermutlich so noch nie gehört hat. Der Bombast macht gute Laune und lässt den Hörer den Lautstärkeregler nach rechts drehen. Man beginnt, im Wohnzimmer oder selbst auf dem Autositz mitzutanzen und mitzusingen. Dabei ist der Livemitschnitt nicht nur dick aufgetragen, er bietet musikalisch auch Erstaunliches. Gleich zu Beginn eine klare politische Botschaft mit der Eigenkomposition „Das Bürgerlied“. Es folgt eine Tour de Force zu Tucholsky mit einem Death-Metal-Zwischenstopp bei Max und Moritz bis zum angemessenen Finale, Goethes „Heidenröslein“. Brillant, mit welchem Tempo die Band sich durch die Klassiker bewegt, ohne ermüdend oder ermüdet zu wirken. Trotz permanenten Offbeats werden Publikum und Hörer mitgerissen, ob bei „Der Erlkönig“ oder „Der Mond ist aufgegangen“. Sogar für Folker-Rezensenten und andere neunmalkluge Journalisten ist ein Stück dabei, das „Klugscheißerlied“. Wer nach diesem Album keine gute Laune hat, leidet möglicherweise an einer klinischen Depression. Für die deutsche Folklore ist dieses Album vermutlich der größte (und lauteste) Kracher, seit es Achim Reichel gibt. Kaufen und allen Freunden schenken!
Chris Elstrodt

Balsam für die Bal-Folk-Seele

DIATON
Strange Atmosphere
(Löwenzahn)


Strange Atmosphere („Fremde Stimmung“) hat das Duo DiaTon – das sind Johannes Uhlmann (aus Großpösna bei Leipzig) und Simon Gilen (aus Lüttich) – sein Debütalbum genannt. Hier begegnen sich zwei Meister des diatonischen Akkordeons, die auf Knopf- und Augenhöhe resonieren. Sie fangen sogar Stimmungen ein, die ihnen vermutlich noch nicht vertraut sind, und intonieren diese überzeugend. Vielleicht ist den beiden die Trauer und Melancholie fremd, die sich einstellt, wenn man persönlich mit dem Thema Tod konfrontiert wird. Der Walzer „Trip To Skye“ lässt an Himmelfahrt denken. Immer höher hinauf geht’s, in Trance auf der Kreislinie. Uhlmann widmete das Album seinem 2018 verstorbenen Vater Peter, der  DIATON: Strange Atmosphere Gründungsmitglied der legendären Folkländer und weiterer Leipziger Folkbands war. Gemeinsame keltische Wurzeln ziehen sich durch Strange Atmosphere, bei einigen Stücken durch grandiose Gastmusiker in bester Folksession-Manier zum Bordun-Furioso vernetzt. Manches klingt nach Unterwegssein, nach meditativer Pilgerreise durch Flamen, Frankreich und Spanien, die Ausdauer und Kraft kostet, aber auch schenkt. Manchmal meint man, bei einer Bauernhochzeit dabei zu sein, wie sie Pieter Bruegel gemalt hat. Mit dem Album wurde Trauer- und Freudearbeit geleistet. Viele Stimmungen, die ein Leben ausmachen, klingen darauf an. In „Le Funambule“, einer Komposition des Drehleiervirtuosen Till Uhlmann, inspirieren zarte Vogelstimmen voluminösere Lebensformen zu einer Art Tanzbärenparade. Alle Beteiligten schwelgen darin, bis ihnen vor Lust die Luft ausgeht. Eine Polonaise, mit der ein Bal Folk normalerweise beginnt, an den Schluss zu setzen, erinnert an die Vorstellung, dass im Ende der Anfang liegen könnte. Und plötzlich bricht sie ab – wie mancher Lebensweg. Ein Leckerbissen, ein Muss für alle Freunde von traditioneller westeuropäischer Bal-Folk- und Bordunmusik. Dass die Titel der elf eingespielten Tänze auf dem Cover schwer lesbar sind, ist ein bisschen schade. Dennoch: Strange Atmosphere ist Balsam für die Bal-Folk-Seele.
Kay Reinhardt

Schiere Freude und Leidenschaft

LOUISA LYNE & DI YIDDISHE KAPELYE
Lust
(Maestro Music), mit schwed., hebr., span. u. jidd.Texten


Vor etwas über zehn Jahren formierte sich in Malmö die Sängerin Louisa Lyne, ursprünglich aus Härnösand stammend, mit mehrfach wechselnden lokalen Musikern zur „Jiddischen Kapelle“. Nach den Alben Debyut (2012) und A Farblondzhete Blondike (2015) setzt Lyne ein weiteres Mal mit dem hier vorliegenden dritten Album überwiegend auf die jiddische Sprache, jedoch nicht nur. Wird der abschließende neunte Titel des Albums mit „Sweet Little War“ vor allem auf Englisch gesungen, wobei – durchaus diskutabel – mit Krieg tatsächlich die Liebe gemeint ist, gibt es neben einem Titel auf Spanisch auch zwei schwedisch gesungene, darunter das ins Album einführende „Innan Det Tar Slut“ („Versuche alles, bevor es  LOUISA LYNE & DI YIDDISHE KAPELYE: Lust zu Ende geht“), für dessen Text und Musik niemand anderes als der israelische Star Idan Raichel verantwortlich ist. „Finde in allem das Schöne, tanze so lange, bis man vor Müdigkeit oder Liebe einfach umfällt“ – die Hintergründe dieser Fusion von Lyne und Raichel bleiben bedauernswerterweise im Dunkeln. Die grafische Aufbereitung des Beiheftes ist absolut ansprechend und fällt ohne Wenn und Aber äußerst angenehm ins Auge. Andererseits bleibt unerklärlich, wieso die hebräischen Texte derart klein gestaltet wurden, dass man zum Nachlesen nahezu eine Lupe benötigt. Und für eine Übersetzung aller Texte ins Deutsche oder Englische wäre in jedem Fall auch noch Platz gewesen – sicherlich sind nicht alle des Jiddischen in hebräischen Schriftzeichen mächtig. Dennoch, mit Musikern wie Johnny Åman (Bass), Edin Bahtijaragic (Akkordeon, Keyboard), Irina Binder (Violine) oder Robin Lyne (Gitarre), aber auch etwa einem Dutzend weiterer, ist Louisa Lyne ein höchst besinnliches und äußerst attraktives Album gelungen. Um sie selbst zu zitieren: „Lust ist, wenn man etwas aus schierer Freude und Leidenschaft macht – einfach, weil man sich danach fühlt. Und sobald etwas aus Lust entsteht, sind keine weiteren Erklärungen mehr notwendig.“ Alleine dieser Spruch sollte bereits das Prädikat „besonders“ erhalten.
Matti Goldschmidt