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Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

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Editorial

Auf ein Neues, liebe Leserinnen und Leser!

Guten Tag, ich bin die neue Chefredakteurin. Einer meiner Lieblingssänger ist Scott Weiland, eines meiner Lieblingsbücher Portnoys Beschwerden von dem als sexistisch verschrienen Philip Roth. Als gebürtige Argentinierin packt mich bei Astor Piazzolla und Horacio Ferrer eine besondere Sehnsucht. Den mir innewohnenden Punk habe ich in zwei intensiven Jahren in einer Kölner Frauenband auf der E-Gitarre ausgetobt.
Viele Jahre schon arbeite ich als Musikjournalistin, vorwiegend beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In diesen für den Printmarkt so schwierigen Zeiten ein Magazin zu übernehmen, ist eine ziemliche Herausforderung. Das französische Trad Magazine gab im Juli 2017 auf, im vergangenen März erschien die letzte Printausgabe des britischen NME, kurz darauf verkündete die deutsche Intro ihr Ende. Diesen für den Musikmarkt schwerwiegenden Abwärtstendenzen möchten das Folker-Team und ich unbedingt entgegensteuern.
Sie halten nun einen frisch gestrichenen Folker in den Händen und es ist Ihnen bestimmt aufgefallen: Der Untertitel auf unserem Magazincover liest sich anders. Da steht jetzt „Folk – Song – Global“ und die Weltmusik ist raus. In meiner langjährigen Berufspraxis sind viele Musiktrends an mir vorbeigezogen und tun es immer noch. Die Bezeichnung „Weltmusik“ gibt’s zwar schon seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Marktstrategisch wurde sie jedoch ab Mitte der Achtziger von findigen Promotern eingesetzt, um die boomende Weltmusikszene mit einem passenden Logo besser verkaufen zu können. Die Zeiten sind vorbei, und in diesem Frühjahr titelte dann das kanadische Wochenmagazin Now: „It’s time to retire ‚world music‘.“ Weiter im Text: „Musik ist einflussreicher und grenzenloser denn je, aber der Begriff Weltmusik ist überholt.“
Volksmusik, Musikkulturen, World Wide Music, Weltmusik 2.0, Transglobal Music, Global Pop – kein anderes Musikgenre hat sich mit der sprachlichen Bezeichnung so schwergetan. Mit dem Genrebegriff Weltmusik ist allerdings etwas Ungewöhnliches passiert: Es waren die Musiker und Musikerinnen selbst, die den Terminus ablehnten. Wohl, weil sie sich in dem vermeintlich engmaschigen semantischen Feld nicht verorten konnten.
„Es gibt keinen einfachen Begriff.“, schreiben Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrem Buch Was ist Philosophie? „Jeder Begriff besitzt Mannigfaltigkeiten und definiert sich durch sie.“ Sprache dient mir zur kommunikativen Verständigung und unter Weltmusik ließen sich für mich locker sämtliche musikalischen Spielarten unseres Planeten subsumieren. Das übernimmt jetzt das Wort global, respektive global music, ebenfalls mit mannigfaltigen Deutungsmöglichkeiten.
Wenn Sie das Lied suchen: Im Untertitel steht es nicht mehr, dafür aber im Heft. Jochen Malmsheimer unterhält sich mit dem Bochumer Liedermacher Guntmar Feuerstein unter anderem über sozialistische Bergmannslieder und wie sehr der Bergbau das Ruhrgebiet heute noch prägt. Deutsche Liedermacher, über den Globus verstreute Singer/Songwriter, westafrikanische Griots oder französische Chansonniers, sie alle besingen ihre Befindlichkeiten oder suchen neue Horizonte für sich und die Welt. Und
Cecilia Aguirre * Foto: Luisa Aguirre obwohl der Song das Lied im Untertitel abgelöst hat, konzentrieren wir uns im Folker auf das, was in der deutschen Szene passiert. Die ist bunt, jung, sehr aktiv!
Als die charismatische US-amerikanische Sängerin und Gitarristin Becca Stevens im Frühjahr in Deutschland ihr neues Album vorstellte, war sofort klar, dass wir etwas über sie bringen. Niemand ist derzeit im Folk-Jazz-Crossover so innovativ wie sie. Der Pionier des deutschen Balkanpops, Shantel, hält im Interview Rückschau auf über zwei Jahrzehnte „Disko Partizani“. Die Wüstenrocker von Imarhan erklären den Sound ihrer malischen Heimat, und unser Autor Rolf Thomas durfte sich seinem Helden widmen: Willie Nelson!
Unbedingt im Heft unter meiner Regie: die kritischen Diskussionen über Entwicklungen auf dem Markt wie zum Beispiel das potenzielle Ende der CD, das Wachstum der Streaming-Anbieter, das immer prekärer werdende Leben von Profimusikern und -musikerinnen. Alles Themen, die uns brennend interessieren und die wir kontrovers diskutieren.
Noch eine persönliche Anmerkung. Der Folker steht für Meinungsvielfalt. So ist es folgerichtig, dass ein Artikel wie der Gastbeitrag in diesem Heft erscheint, dem ich mich so gar nicht anschließen kann. Aber das muss ich aushalten …
„Viel später also erst sollte ich einsehen, dass sogar Landschaften, Äcker, Nationen, Rassen, Hütten und Kaffeehäuser verschiedenster Art und verschiedenster Abkunft dem durchaus natürlichen Gesetz eines starken Geistes unterliegen müssen, der imstande ist, das Entlegene nahezubringen, das Fremde verwandt werden zu lassen und das scheinbar Auseinanderstrebende zu einigen.“ Ein kürzlich gelesener Satz von Joseph Roth aus Die Kapuzinergruft, der mich sofort angesprochen hat.

Viel Spaß bei der Lektüre!

Cecilia Aguirre