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Backkatalog   Ausgabe Nr. 4/2017   Internetartikel




»Die Franzosen sind sich nicht bewusst, dass die Reden heute dieselben sind wie zu Zeiten der Nazis. Damals waren es die Juden, heute sind es die Einwanderer, aber der Diskurs ist derselbe.«
Rachid Taha

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Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

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Auswahldiskografie:

Zoom
(Naïve, 2013)

Bonjour
(Barclay/Wrasse, 2009)

Tékitoi
(Barclay/Wrasse, 2004)

Made In Medina
(Barclay, 2000)

Carte Blanche
(Do-CD inkl. Carte de Séjour; Barclay, 1997)


Cover Zoom


Die Musik der Welt in einer Person

Rachid Taha

Der Zeit voraus

Mit der Band Carte de Séjour sorgt Rachid Taha Mitte der Achtzigerjahre für Furore, als arabischstämmige Jugendliche ihre Integration fordern. Da singt er ironisch das Chanson von Charles Trenet, „Douce France“, „süßes Frankreich“, zudem färbt er sich die schwarzen Haare blond, um „wie ein Arier“ auszusehen. Auch der Text von „Voilà, Voilà“ 1993 richtet sich gegen die Rechtsextremen. Taha experimentiert als einer der ersten der Pariser Musikszene mit elektronischen Klängen und interpretiert dann, zu einer Zeit, als aus Algerien nur Raï populär war, „Ya Rayah“, ein Lied im traditionellen Chaâbistil. Es ist auch in Deutschland sein bekanntester Song. Heute ist der algerischstämmige Franzose kreativer denn je, und es sind weitere Perlen von ihm zu erwarten.

Text: Martina Zimmermann

Meine erste Begegnung mit Rachid Taha findet nicht statt: Der Studiogast kommt nicht. Es ist 1985 und das erste Mal, dass die Band Carte de Séjour in Deutschland auftritt. Erst nach dem Konzert schüttele ich dem Sänger mit den dunklen Locken dann doch noch die Hand und rauche eine Zigarette mit den Musikern. Ich bin eine junge Radioredakteurin und habe die Formation mit dem provokanten Namen, der auf Deutsch „Aufenthaltsgenehmigung“ bedeutet, die ich während meines Studiums in Paris gehört habe, in meine Sendung eingeladen. Sie ist von jungen Arbeitern gegründet worden, die in einer Firma in Lyon jobbten. Ihre Eltern stammen aus Algerien, sie sind Einwandererkinder der zweiten Generation. Es fehlt ein Sänger, und Taha, der eigentlich lieber Schlagzeug spielen will, greift zum Mikro. So hört man 1981 in Frankreich zum ersten Mal arabisch gesungene Rockmusik. Der Mitte der Achtziger gecoverte Hit „Douce France“ ist aus dem Mund der Immigranten eine politische Forderung.
Wohin geht dieses „süße Frankreich“ im Wahljahr 2017? Über Politiker habe er überhaupt keine Meinung mehr, sagt der inzwischen grauhaarige Musiker. „Diese Menschen kennen die Wirklichkeit nicht, sie leben außerhalb der Norm und auf einem anderen Planeten. Sie wollen nur Karriere machen.“ Er sei von linken Politikern angerufen worden, die ihn um Unterstützung für den letzten Wahlkamp baten. Er habe geantwortet, dass er keine Zeit habe und seine eigene Politik mache. Im Klartext meinte er damit Konzerte im sogenannten Couscous Clan mit dem Sänger und Komponisten Rodolphe Burger, mit dem er seit 2014 auftrit
Ende der Achtzigerjahre ist Paris ein Ort, an dem die sono mondiale floriert, wie Weltmusik auf Französisch genannt wird. Radio Nova heißt der Pariser Sender, der das Genre salonfähig macht. Die in Paris lebenden Künstler aus der ganzen Welt geben sich dort ein Stelldichein. „Sono mondiale auf Radio Nova bedeutet die Begegnung von Musikern“, erklärt mir damals der vor zwei Jahren verstorbene Chefredakteur des Senders, Rémy Kolpa Kopoul, von allen RKK genannt. Der Pariser Szenekenner erster Güte kann eine lange Liste von Musikern aufzählen, denen Nova die Tür geöffnet hat: „Mory Kante, Youssou N’Dour, was die Afrikaner angeht. Khaled hat den Sender besucht, lange bevor er seine erste Platte in Frankreich gemacht hat.“ Damals läuft afrikanische und maghrebinische Musik noch kaum im Radio, höchstens in Spezialsendungen über Weltmusik oder solchen mit sozialem Touch, die über Rassismus und Integration berichten. „Als unsere Gruppe bekannt wurde, betrachtete man uns mehr unter sozialen Gesichtspunkten als unter musikalischen“, erinnert sich Rachid Taha an die Anfänge von Carte de Séjour. „Es ging darum, wo wir herkamen, nämlich aus den Vorortghettos.“ Das habe vielleicht geholfen, um ins Gespräch zu kommen, „wir hätten uns aber gewünscht, dass sie mehr über unsere Musik reden“.

... mehr im Heft.