Folker-Logo   Abo   Mediadaten/Anzeigen


Suche
   Intern   Über uns


Kontakt/Impressum/Datenschutz

       
Backkatalog   Ausgabe Nr. 5/2016   Internetartikel




»Flamenco sein, heißt, die Beschneidung durch Routine und Planung zu hassen.«
Sandra La Chispa und Flaco de Nerja * Foto: Wolfgang H. Wögerer, Wien, Wikipedia

[Zurück zur Übersicht]



Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Printversion, das Heft kann bestellt werden unter www.irish‑shop.de.

Oder gleich zum (Schnupper-)Abo.







Albumtipp:

Paco de Lucia & John McLaughlin, Paco And John – Live At Montreux 1987
(Universal, 2016)



Blut, Schweiß und Tränen

Hat der Flamenco nach dem Tod Paco de Lucías noch eine Zukunft?

Flamenco. Sommer. Sonne. Spanien. Für Urlauber erklingt der perfekte Soundtrack mit fröhlichem Kastagnettengeklacker und feurigen „Olé“-Rufen zumeist eine Saison lang. Wer aber dem Flamenco die Oberhoheit über sein Leben zugesteht, der hört eine andere Musik. Der (er)lebt den Flamenco als Lebenskunst, die ihn der Oberflächlichkeit der äußeren Welt entrückt. Die Bereitschaft, außer sich zu geraten und Extreme ekstatischer Emotionen zu erleben, ist die Grundvoraussetzung dieser Kunst.

Text: Harald Justin

Flamenco, heißt es, singe man mit Blut im Mund. Vielleicht sogar mit Tränen in den Augen. Nach dem Tod Paco de Lucías im Jahr 2014 dürften nicht wenige geflossen sein. Denn er galt vielen Aficionados als einflussreichster Gitarrist des Genres. Zumindest gab er entscheidende Impulse für die Modernisierung des Flamenco. So blieb er einerseits den Traditionen treu, andererseits ließ er seine Band mit Instrumenten wie dem Saxofon aufspielen, das eher untypisch für diese Musik war. Und er experimentierte mit anderen Musiken. „In letzter Zeit“, schrieb er in seinem Vorwort zu Bernard Leblons Buch Flamenco, „haben wir Flamencos zunehmend begonnen, über Harmonien zu improvisieren, so wie die Jazzer. Das ist, glaube ich, etwas, das ich ins Leben gerufen habe, und es erfüllt mich mit großer Freude und auch mit Stolz.“ Bei aller Experimentierlust blieb ein Moment seines Spiels immer präsent: seine Intensität. Sie hat ihn, um Rafael de Utrera zu zitieren, der 2001 als Sänger mit de Lucía in Deutschland auftrat, zum „Patron“ bestimmt. „Paco ist der Patron. Wir sind alle nur dazu da, ihn zu begleiten. Doch er gibt auch jedem Raum zur eigenen Entfaltung. So versuche ich, auf meine Art zu singen. Alle dreißig Jahre verändert sich der Gesang, der Cante, im Flamenco. Weil sich eben auch das Umfeld des Cante ändert. Früher beeinflussten die Copla oder der Bolero den Gesang, heute sind es Jazz und Blues. Man hat immer gut gesungen. Aber heute singt man anders. Nicht unbedingt besser oder schlechter, einfach nur anders.“
Tatsächlich kam Paco de Lucía gerade zur rechten Zeit, um einerseits den in ein Regelgeflecht von tradierten Formeln gesperrten Flamenco aus diesem Zwangskorsett zu befreien und ihn andererseits so zu modernisieren, dass er anschlussfähig für eine Jugend wurde, die sich in den Sechzigern nicht nur im Franco-Reich, sondern überall in der Welt für Blues, Jazz oder gar Rock zu interessieren begann. Dabei war er nicht der einzige „wilde Mann“. Schon der legendäre Manitas de Plata war ihm mit langen Haaren, Auftritten vor der Queen und mit Freunden wie Françoise Hardy oder Picasso vorausgegangen – vielen gilt er bis heute als „Rocker“ oder gar „Free Jazzer“ des Flamenco. Camarón de la Isla erregte ähnliche Aufmerksamkeit mit seinem Gesang und seinem extravaganten Lebensstil, der vor Heroin nicht halt machte. Man traut sich halt einiges, ja, man muss sich etwas trauen, um mit Blut im Mund singen zu können.

... mehr im Heft.


Paco de Lucía
Paco de Lucía


5 - Vicente Amigo * Foto: Klaus Mümpfer
5 - Vicente Amigo * Foto: Klaus Mümpfer