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Backkatalog   Ausgabe Nr. 6/2014   Internetartikel
Thomas Nußbaumer

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Kommentare zur Umbenennung des Deutschen Volksliedarchivs (DVA) in Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) aus Wissenschaft, Medien und Szene:



„Ich halte die Umbenennung des Deutschen Volksliedarchivs in ‚Zentrum für Populäre Kultur und Musik' für ausgesprochen unglücklich. Die neue Bezeichnung ist schwammig und wird den bisherigen Forschungsarbeiten des DVA im Bereich des ‚Volksliedes', der ja ein sehr spezifischer Bereich und nach wie vor von großem Interesse ist, nicht gerecht. Die von mir ebenfalls hoch geschätzte Popularmusikforschung betreiben andere Institute schon sehr lange und viel besser als das DVA. Wo liegen denn die Kompetenzen des DVA in der modernen Popularmusikforschung? In Österreich gibt es dafür eigene Universitätsinstitute, auch in Deutschland wird diese Disziplin von hervorragenden Leuten betrieben. Als Volksmusikforscher arbeite ich sehr gerne mit Vertretern der Popularmusikforschung zusammen (zum Beispiel zum Thema ‚Neue Volksmusik'), wir unterscheiden uns aber voneinander hinsichtlich der Zugänge und Methoden.
Ich halte die Ansicht, dass das ‚Volkslied' (mit all seinen Facetten) gesellschaftlich keine Valenz mehr besitze, für unrichtig; das trifft nicht einmal auf Deutschland zu. Das beweist ein Blick auf die mediale Präsenz der Gattung ‚Volksmusik' — nicht nur in Deutschland, sondern nahezu in ganz Europa – und nicht zuletzt auf die vielen, vielen Arbeiten innerhalb des International Council for Traditional Music (ICTM), die die gesellschaftliche Bedeutung von Volksmusik, traditioneller Musik, mündlich überlieferter Musikpraxis und so weiter dokumentieren. Die Frage nach dem ‚Ethnischen' in der Musik, wie sie in der Musikethnologie schon lange bearbeitet wird, ist nach wie vor legitim, man kann sie auch stellen, ohne gleich ein Nationalist zu sein. Anstatt sich auf die Medienkulturwissenschaften zu stürzen, hätte sich das DVA auch stärker der Ethnomusikologie zuwenden können.
Und noch ein Gedanke: ‚Deutsches Volksliedarchiv' ist eine sehr gute, bestens eingeführte Markenbezeichnung, die man meiner Meinung nach nicht einfach einem ‚zeitgeistig wirkenden Wischiwaschi-Etikett' (Copyright: Badische Zeitung), dessen Abkürzung ZPKM so unsexy holpert, opfern sollte. Ich hoffe sehr, dass es an der Universität Freiburg Verantwortliche gibt, die das ebenso sehen, und wünsche dem Institut – abgesehen von einer besseren Benennung, in der die Marke erhalten bleibt – eine inhaltliche Positionierung, die den bisherigen hohen Ansprüchen des Deutschen Volksliedarchivs gerecht wird.“
Thomas Nußbaumer (Musikethnologe, Universität Mozarteum Salzburg)



Bernhard Hanneken * FOTO: INGO NORDHOFEN „Spätestens seit dem Erfolg der Beatles und dem Einzug von Pop- und Rockhits in das Repertoire von Straßenmusik- und auch Folkgruppen debattieren Volksliedforscher, Volksmusikredaktionen und interessierte Laien darüber, inwieweit diese Lieder unter ‚Volksmusik' subsumiert werden dürfen. Die Volksliedforschung stärker diesem Genre zu öffnen, wäre deshalb eigentlich begrüßenswert, würden nicht die Entwicklungen rund um das DVA das Kinde mit dem Bade ausschütten. Dass Dr. Fischer als kommissarischer Leiter des DVA eine Fehlbesetzung ist, ist allen Insidern seit Jahren klar; die Entscheidung, die bisherige Betrachtung einer ‚Musik von unten' aufzugeben zugunsten einer Forschung über das, was Quote bringt, ist eine geradezu groteske Fehlentscheidung. Hier versucht jemand, einem vermuteten Zeitgeist hinterherzulaufen, tauscht Qualität gegen Kommerzialität ein, gibt ein Alleinstellungsmerkmal auf zugunsten eines Einreihens in den Mainstream. Pikante Nebennote ist dabei, dass dies unter der Ägide einer rot-grünen Landesregierung geschieht – wählen doch beispielsweise Folkfans einer Erhebung zufolge zu über siebzig Prozent die Grünen. Aber wie sagte einmal ein grüner Spitzenpolitiker aus NRW in den Neunzigerjahren zu mir: ‚Wir Grünen haben eigentlich mit Kultur nicht so viel am Hut.' Was zwanzig Jahre später in Baden-Württemberg auf beschämende Weise bewiesen wird.“
Bernhard Hanneken (Musikjournalist, künstlerischer Leiter TFF Rudolstadt)



 Werner Fuhr „Für mich ein Lehrstück von Entleerung der Wissenschaft. Einzigartige Zeugnisse eines halben Jahrtausends kollektiven Gedächtnisses abseits der machtgesteuerten veröffentlichten Meinung werden ohne Not verdrängt und verdeckt. Stattdessen: quirlige Scheinanalysen der schönen neuen Medienwelt. Dass im kommerziellen Hochglanz-Musikantenstadl manches stinkt (und viele es nicht merken) – wie neu und nützlich soll diese Erkenntnis denn sein, dass man entgegen ausdrücklichem fachlichem Rat dafür volkskundliches Tafelsilber verkaufen muss? Und das noch mit dem wirklich anrüchigen Argument, die Beschäftigung mit den musikalischen Lieblingen des Volkes nun endlich von dem ihr seit Anbeginn anhaftenden Ideologiegeruch zu befreien? Die Situation schreit nach einem anderen Ausgang.“
Werner Fuhr (Musikjournalist, WDR)



Wolfram Steinbeck „Als Sprecher der damaligen Evaluierungskommission kann ich nur mein tiefstes Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass die Landesregierung nicht einen einzigen Vorschlag der hochkarätig besetzten Kommission umgesetzt hat. Im Gegenteil. Ich weiß nicht, wozu wir eigentlich – ehrenamtlich, versteht sich – gearbeitet haben: Es gibt keinen hauptamtlichen und international renommierten Leiter, das Haus ist aufgegeben, die inhaltliche Schwerpunktverlagerung auf die Produktions- und Rezeptionsbelange der Popularmusik ist ein schwerer Fehler und missachtet die gewachsenen Strukturen und Bestände eines Archivs, das weltweit einzigartig ist und auf das die Landesregierung Baden-Württemberg stolz sein müsste. Um nicht missverstanden zu werden: Niemand wollte das Archiv im Dornröschenschlaf belassen. Es sollte durch unsere Vorschläge (die zugegebenermaßen Geld gekostet hätten) durchaus modernisiert werden, und zwar unter Einschluss einer thematischen Erweiterung auch in die Bereiche der Popularmusik. Und die internationale Sichtbarkeit sollte gesteigert und befestigt werden. Nichts davon ist erreicht. Keine Modernisierung, sondern mutwillige Zerstörung, die durchaus fundamentalistische Züge trägt!“
Wolfram Steinbeck (Musikwissenschaftler, Universität Köln, Mitglied der Evaluierungskommission des DVA von 2009)



James Brophy * FOTO: EVAN KRAPE „As the author of a book titled Popular Culture and the Public Sphere in the Rhineland, 1800-1850 (Cambridge University Press, 2007), I might applaud the renaming of the Deutsches Volksliedarchiv. But this is emphatically not the case. The DVA and its method for researching the reception and dissemination of folk songs in Germany remains indispensable for social, cultural, and political historians. The DVA’s focus on reception and the ethnographic care which the archive devoted to documenting the many oral versions of songs over time and space are simply invaluable to scholars across the humanities and social sciences. It is only because of the DVA that social historians can make substantive claims about the reception of songs and how their lyrics evolved over time in various regions and in varied milieux. The DVA contributed to my research about the political culture in innumerable ways, and the notion that documenting the lived experience of singing no longer has purpose in the twentieth- or twenty-first century is profoundly misguided.  There is no other research institute like the DVA in Germany, so one asks the question: why would anyone want to dismantle such an important site and method of research?
Let me further clarify the issue. In its myriad forms, print matter changed popular culture in many ways. Pamphlets, booklets, songbooks, song flysheets, and so many other forms of popular print delivered songs and lyrics to German readers. But print media is not popular culture. Which of these songs – so-called Kunstlieder – became genuine folk songs, what specialists call Kunstlieder im Volksmund? Which of the many popular songs became genuine Volkslieder, melodies and lyrics that were passed down through the generations? For social historians, the issue is critical: which songs were ‘popular’ for weeks and months and which songs penetrated into the oral and lived experiences of Germans to join what Roger Chartier and others have labeled ‘social communication’:  ideas and sentiments that penetrated the warp and woof of Germany’s mental universe. It is only because of the DVA that historians today can document which songs and flysheets of eighteenth- and nineteenth-century ‘popular culture’ became enduring elements of German culture. The ability to document which songs perished after a generation and which songs shaped collective memories of ordinary Germans is invaluable and singular. No other institute did it other than the DVA. Why Germany would end one of its great research institutions is disturbing.  Simply put, western scholarship has many institutes of popular culture, but it has few archives that can match the DVA’s knowledge of folk singing.
To conclude, western scholarship has many schools of popular culture – Frankfurt, Birmingham, Tübingen, Bowling Green etc. Rare is the institution, however, that systematically canvassed numerous regions and ethnographically recorded the lyrics and songs of ordinary Germans. The DVA designed a method one hundred years ago and systematically generated a treasure trove of documentation for scholars. The academic world should throw confetti and play a Ständchen for this extraordinary research and celebrate its anniversary. Instead we mourn its loss. How sad, how ironic. We foreigners looked upon the DVA and wished that we had comparable institutions. Speaking as an American, how Woodie Guthrie would have been so pleased to have established a comparable institution in the United States. But, sadly, current fads and a confluence of academic and political interests see fit to end one of the great ethnographical treasures of Western Europe.  What a monumental error!“
James Brophy (Historiker, University of Delaware, Newark, USA)



 Barbara Boock * FOTO: Ingo Nordhofen „Aus der Ferne – ich lebe seit Sommer 2013 in Italien – habe ich die weiteren Veränderungen des von mir so sehr geschätzten Deutschen Volksliedarchivs wahrgenommen. Für mich war schon der Auszug aus der wunderschönen Villa des Archivgründers John Meier ein harter Schlag gewesen. Seit Mai 1972 hatte ich dort in der Bibliothek gearbeitet und sie je länger desto besser kennengelernt und Besuchern aus aller Welt bei der Suche nach Literatur zu den verschiedensten Forschungsthemen helfen können, alles Relevante zu finden. In meiner langjährigen Berufserfahrung stellte ich immer wieder fest, wie akribisch seit der Gründungszeit Material zusammengetragen und katalogisiert worden war, das besonders Texte erschloss, in denen die Gefühle und Hoffnungen der kleinen Leute festgehalten worden waren, die sonst kaum dokumentiert sind. In Liedern wurde vieles ausgedrückt, was sonst nicht zur Sprache kam. John Meier hatte ausdrücklich dazu aufgefordert, die Lieder so aufzuschreiben, wie sie vorgesungen werden, und dabei nichts aus politischen oder moralischen Gründen auszulassen. Ihm lag daran eine genaue Dokumentation des wirklich Gesungenen in sein Archiv einzubringen. Ihn interessierten besonders die zahlreichen verschiedenen Versionen, die von einem bekannten Lied im Umlauf waren. Er wollte durch seine Materialsammlung genauer klären, was ein Lied zum Volkslied macht – also zu einem Lied, das viele Menschen dazu bewegt, ihre ganz persönlichen Empfindungen zum Ausdruck zu bringen und dabei eventuell Text und Melodie entsprechend zu verändern.
Ihm war klar, dass viele Lieder in den meisten europäischen Ländern bekannt und in den verschiedensten Sprachen überliefert worden waren. Er hatte sein ‚Deutsches Volksliedarchiv? von Anfang an auch als Arbeitsstelle für internationale Volksliedforschung konzipiert und entsprechend mit einer großen internationalen Sammlung von Büchern über traditionelle Lieder aufgebaut. Es war eine ausgezeichnete Forschungsstelle für vergleichende Liedforschung über Länder- und Sprachgrenzen hinaus und sollte es auch bleiben.
Die Umbenennung in diesem Jahr – in dem das Archiv eigentlich seinen hundertsten Geburtstag hätte begehen sollen – ist bitter. Der neue Name, der das Hauptforschungsthema ‚Lied' gar nicht mehr benennt, ist schlecht gewählt. Mich kränkt auch die Missachtung der Intentionen des von mir sehr verehrten John Meier, dessen einhundertfünfzigster Geburtstag am 14. Juni zu feiern gewesen wäre.“
Barbara Boock (von 1972 bis 2013 Bibliothekarin im DVA)



„Institutionen – wie Menschen – werden ja älter. So könnte es einem einfallen, dass das Deutsche Volksliedarchiv, dieses Jahr hundert Jahre alt, sich verjüngen, sich als ein ‚Zentrum für Populäre Kultur und Musik' umnennen und ausgeben sollte. Leider ist der Bikini der Hundertjährigen nicht so unbedingt kleidsam. Lieber sollte man wohl besser traditionell bleiben.
Und das ist der springende Punkt: Wo bleibt das Traditionelle? Als Professor für Volkskunde in Kalifornien und Leiter der Central California Folklore Archives bin ich immer (auch früher in meiner Amtszeit als Stellvertretender Konservator im Deutschen Volksliedarchiv) für fortschrittliche Ansätze in der Volkskunde (auch ‚Europäische Ethnologie? oder ‚Kulturanthropologie' genannt). ‚Fortschrittliche Ansätze? kann natürlich heißen, dass man ganz neue Forschungsgebiete anpeilt – nicht aber, dass man den Forschungsgegenstand schlechthin verwirft.
Das deutsche Volkslied ist ein traditionelles Lied, das in verschiedenen Variationen von Individuen gesungen wird. Der deutsche Popsong ist ein stereotypisches, von kommerziellen Massenmedien getragenes Produkt. Beide Forschungsgebiete haben einen ganz wichtigen, aber sehr unterschiedlichen Wert. ‚Tradition' hat mit Werten der Eltern, Familie, des Freundeskreises als Vertreter der Gesellschaft zu tun. ‚Kommerziell' hat mit finanziellem Erfolg und mit der aufoktroyierten Wirkung von medialen Massenwaren zu tun. Der traditionelle Sänger ist aktiver Mitträger und Mitgestalter der Wertausdrücke der Gesellschaft (sprich: des ‚Volkes'). Der Hörer von Massenmedien aber ist passiver Konsument. Der Versuch, das Deutsche ‚Volkslied'-Archiv in ein ‚Zentrum für Populäre Kultur und Musik' umzumünzen, verfehlt das Ziel beider Fachrichtungen.
Institutionen für die Erforschung populärer Kultur gibt es viele. Es gibt aber nur ein Deutsches Volksliedarchiv, und seine Bestände sind für die Forschung traditioneller Kultur geeignet, nicht für Massenmedien, die andere Prämissen erfordern, andere Forschungsgegenstände wie auch andere Forschungsansätze. Warum ein weltbekanntes und herrlich bestücktes Institut demontieren, um der akademischen Mode hinterherzurennen? Das DVA sollte bei dem bleiben, was es am besten kann, Volkslied und Tradition, und dabei seine Verortung neben den anderen herausragenden Forschungsinstituten der ‚Volks?-Kultur, etwa dem Archive of Folk Culture der US Library of Congress, bewahren.“
David Engle (Volkskundler, California State University, Fresno, USA)



Ralf Gehler „Wenn man sich fragt, warum der Deutsche nur über den Fußball in die Lage versetzt wird, eine eigene Identität zu entwickeln und nicht über seine Kultur; wenn man sich weiterhin fragt, warum er bei ‚Deutschland' immer zuerst an Politik und Wirtschaft denkt und nicht an Landschaften, Literatur oder Musik – dann liegt es auch daran, dass wir unsere Traditionen nicht genug wahrnehmen und entwickeln. Ein innovativer, ja, spielerischer Umgang mit Liedern, Tänzen und Bräuchen muss nichts Rückwärtsgewandtes, Konservatives sein oder geschichtlich belastet empfunden werden. Die Bandbreite der Auseinandersetzung mit diesen Dingen kann enorm sein – die Quellen jedoch müssen bewahrt, erforscht und zur Verfügung gestellt werden. Jeder neuen Generation bieten sie Möglichkeiten der Entdeckung des ‚Eigenen', das wir benötigen, um in einer sich wandelnden Welt einen Pol zu haben und Wissen zu erlangen über die Geschichte der Menschen dieses Landes mit ihren Lebensformen, Ausdrucksweisen und Gedanken. Die nunmehrige Ausrichtung des DVA mag im Wissenschaftsbetrieb der Gegenwart dazu beitragen, Forschung zu legitimieren und Gelder zu erlangen – der Förderung einer kreativen Auseinandersetzung mit Liedern und Musiken unserer Geschichte steht sie im Weg. Die Arbeit an diesen Dingen findet woanders statt – und nicht im ehemaligen Kerninstitut in Freiburg. Bedauerlich!“
Ralf Gehler (Musiker, Vorstand Profolk e. V.)



Michael Zachcial * FOTO: Ingo Nordhofen „Ich kann mich gut erinnern, wie ich Anfang der Neunzigerjahre erstmals im Freiburger Volksliedarchiv war und beinahe ehrfürchtig die Mappe mit den Liedern deutscher Auswanderer nach Amerika in den Händen hielt, viele davon unveröffentlichte Originale, manche auf Mikrofilm.  Seitdem war ich für etliche Projekte dort, die Zusammenarbeit mit dem Archiv war dabei immer gut, das gilt auch Michael Fischer und seinem Team, die schnell und unbürokratisch halfen und immer ansprechbar waren. Wie wenig aber der Kulturschatz in Freiburg von den Politikern geschätzt wird, konnte ich zuletzt bei unserem Weltkriegslieder-Projekt feststellen, wo ich reihenweise Absagen von diversen Kulturstiftungen und Kulturpolitikern auf die Bitte um Unterstützung erhielt. Ich denke nicht, dass die Neuausrichtung des Archivs diese Situation verbessert. Was möglich wäre, hat unter anderem das ‚Wiegenlieder'-Projekt der Zeit und des SWR gezeigt, auch wenn die Lieder nur von klassischen Sängern interpretiert wurden. Das Interesse in der Bevölkerung ist groß, die Site www.volksliederarchiv.de etwa [nicht die Webpräsenz des Deutschen Volksliedarchivs, sondern eine private des Autors; Anm. d. Red.] hat zurzeit sechzehntausend Zugriffe pro Tag. Ich rege hiermit die Gründung eines ‚Freundeskreises Volksliederarchiv' an, um das Material aus Freiburg besser zu erschließen und bekannt zu machen. Diese einzigartige Sammlung gehört für mich auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO.“
Michael Zachcial (Musiker, Betreiber der Website www.volksliederarchiv.de)



Hans Peter Herrmann „Ich bin ziemlich bestürzt, erschrocken und besorgt darüber, was aus diesem Institut werden wird. Anfangs lernte ich das Archiv als eine sehr freundliche, sehr entgegenkommende, sehr harmonische Einrichtung kennen; der Kontakt zwischen den Mitarbeitern und das Entgegenkommen gegenüber den Gästen war ungeheuer freundlich. Dann kam ich 2010 oder 2011 zu Besuch und traf auf eine völlig veränderte Atmosphäre: Die Mitarbeiter sprachen nur noch hinter vorgehaltener Hand. Einige sagten auch: ‚Wir müssen vorsichtig sein, ich darf mit ihnen eigentlich nicht sprechen.' Ein bis dahin offenes Institut bekam einen neuen Leiter und plötzlich war die Atmosphäre völlig verändert und bestimmt von Angst und Verunsicherung. Es wurde erzählt, dass man unter Androhung juristischer Schritte nicht mehr mit der Presse sprechen dürfe. Eine Einrichtung, die unter verschiedener Leitung immer ihren eigenen, offenen, publikumszugewandten und sichtlich auch untereinander kooperativen Stil hatte, wurde plötzlich zu einem verdrucksten Institut, in dem die Mitarbeiter offensichtlich bedroht wurden und verboten bekamen, mit irgendjemandem über dessen Geschichte zu sprechen.
Als in Freiburg durchsickerte, dass die Villa an der Silberbachstraße verkauft werden sollte, rätselten viele, warum. Aber man stieß auf eine Mauer der Schweigens. Ich habe dann mit anderen zusammen versucht, mich darum zu kümmern, dass man das Haus erhalten kann. Vom Ministerium kam keinerlei Reaktion auf unsere Anfragen.
Es sind hier zwei Akte historischen Vandalismus passiert. Erstens wurde ein auf seinen Inhalt abgestimmtes Haus aus finanziellen Gründen verkauft, obwohl ein ökonomisch durchgerechneter Plan vorlag, es nicht verkaufen zu müssen. Das Zweite ist, dass das Institut klammheimlich umgewidmet wurde. Aus einem historisch orientierten Forschungsinstitut wurde eine modische Einrichtung für moderne Gegenwartsmusik. Das ist ein wichtiges Forschungsgebiet, zweifellos. Aber wenn man das auf ein gewachsenes und natürlich immer auch unter finanziellen Schwierigkeiten leidendes historisches Institut aufpropft, dann muss dafür gesorgt werden, dass der historische Bereich, die bisherige Forschung und auch die bisherige kulturelle Bedeutung erhalten bleiben.
Diese historische Ausrichtung der Einrichtung hat drei wichtige Komponenten, zwei kulturelle und eine wissenschaftliche. Ihre erste kulturelle Bedeutung ist, dass sie schon immer der Pflege von Heimatgefühlen und Heimatkultur diente. Es kommen ständig Leute, die hier in Heimatverbänden oder in Zusammenhang mit dem alemannischen Institut in ihrer eigenen Vergangenheit forschen wollen. In den Siebzigerjahren kamen dann plötzlich die sozialen Bewegungen auf die Idee beziehungsweise haben gemerkt, dass im historischen Bestand des Instituts eine ganze Menge an Protestmaterial liegt. Dass also diese historischen Lieder, die man immer unter dem Gesichtspunkt einer Bestätigung und des Fortlebens bestehender sozialer Strukturen verstanden hat, eine ganze Menge an politischem, sozialem, kulturellem, ideologischem und weltanschaulichem Konfliktmaterial enthalten. Das Dritte ist, dass die Forschung natürlich in beiden Bereichen tätig ist. Und das Wichtige an diesem Institut ist, dass sein Material über das gut erforschte neunzehnte bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückreicht. Das heißt: bis dorthin, wo unsere Neuzeit beginnt. Und Neuzeitforschung ist im Augenblick ganz aktuell. Der große Zeitraum vom sechzehnten Jahrhundert, also von der Renaissance bis heute, wird in der Forschung in wachsendem Maß als einheitlicher Zeitraum angesehen. Da wären also auf allen drei Gebieten ganz große Aufgaben, den historischen Bestand dieser einmaligen Einrichtung mit allen finanziellen, organisatorischen und intellektuellen Mitteln zu erhalten. Stattdessen wird aus den persönlichen Vorlieben von Herrn Fischer und dem, wo er sich (ich weiß nicht wie sehr) ausgewiesen hat, ein modernes Institut darauf gepfropft.“
Hans Peter Herrmann (Germanist, emeritierter Professor, Universität Freiburg; Auszüge aus einem Interview, Mai 2014)



Dan Lundberg Ingrid Åkesson „As representatives for the Centre for Swedish Folk Music and Jazz Research, Svenskt Visarkiv, we would like to comment on the recent situation at the Zentrum für Populäre Kultur und Musik in Freiburg. When the Centre for Swedish Folk Music and Jazz Research was created in 1951, the Deutsche Volksliedarchiv was one of the very important models. Both the DVA and our institute have always filled the manifold functions of archive, documentation centre, and research institute. Traditional song and music is not an issue of the past only, and a music archive is not only a historical remnant, but an active part of contemporary society. All over the world, ethnomusicologists, ethnologists, sociologists, historians, and scholars of literature and folklore do scholarly work within a wide cultural area where the traditional and the popular, the diachronic and the synchronic, the high and the low, all are included, creating a many-facetted structure. Institutions such as the DVA, the Irish Traditional Music Archive, the Berlin and Vienna Phonogram Archives, the Elphinstone Institute in Aberdeen, the folk and popular music archives in the Baltic and Scandinavian countries, play an important role in this work. They are crucial for the international networks of scholarship in ethnomusicology and folklore, such as the International Council for Traditional Music, the European Seminar in Ethnomusicology and the Kommission für Volksdichtung. They are also crucial for the contemporary performance of traditional music in all its forms and shapes; traditions have always implied continuous change; both musicians and institutes are part of a constant confluence of creativity and re-creativity, and dialogues between archival material and the contemporary music scene. The declaration on the website of the Zentrum für Populäre Kultur und Musik speaks of, among other things, historical perspectives. However, we are very worried by the information that our partner of cooperation since many years, the Deutsche Volksliedarchiv, is not supposed to continue its work on traditional song culture, and that the Liederlexikon will not continue to grow. To regard traditional song and music, and knowledge of these traditions, as a finished and out of date issue is a very serious mistake. Among scholars and institutes within the area of popular and traditional music all over Europe it is extremely important that the concept of popular culture/Populärkultur is taken to include the broadly disseminated and historically important musical practices among non-elite groups in society, that which is often called ‘traditional music’. The boundaries between ‘gehörter Musik’ among rural and urban citizens, art music, and early commercial music have been far more transparent and fluid over past centuries than they are conceived of today. To be able to study the development and history of popular music in a broad sense, we need to take all these aspects into account.
Institutes like the Centre for Swedish Folk Music and Jazz Research have for a long time regarded the DVA as a useful partner in the study of European song culture, and the Liederlexikon is an admirable effort which should be continued. The DVA is well-known internationally as an institute of high credibility. A project such as the Liederlexikon creates important knowledge about the common roots and widespread dissemination of many regional or local songs and tunes and the dynamic process of change, exchange, and (re-)creativity within traditional music. These are facts that forcibly contradict the recurring nationalist movements in Europe and are crucial for anyone studying music. In a democratic perspective, this kind of knowledge will be of great importance for future research and for the general discourse of music in society.“
Dan Lundberg & Ingrid Åkesson (Svenskt Visarkiv, Stockholm)



Oskár Elschek * FOTO: MILAN SOUKUP „Durch die vorgeschlagene oder durchgeführte Veränderung, Namensänderung, Umstrukturierung und den Anschluss an die Universität wird ein Institut in seiner Grundfunktion vernichtet und kein neues gegründet. Denn der heterogenen und hybriden Populärkultur dienen alle Medien, Rundfunk, Fernsehen, weitere kommerzielle Einrichtungen und Managements, die weder Interesse an Forschung noch an Dokumentation haben. Da waren schon zahlreiche andere universitäre Einrichtungen mit vergleichbaren Vorstellungen über die ‚populäre' Kultur erfolglos und haben dies nicht in den Griff bekommen. Mit diesen nun in Konkurrenz treten zu wollen, ist im besten Fall naiv und frustrierend. Leider.“
Oskár Elschek (Musikethnologe, Bratislava)



  Ulrich Morgenstern „Die Umwidmung des ehemaligen Deutschen Volksliedarchivs (1914-2014) stößt in internationalen Fachkreisen auf größtes Unverständnis. Verschiedentliche Äußerungen des kommissarischen Leiters wie auch die erstaunlich kurzfristige Ankündigung der ‚Jubiläumskonferenz' lassen eine tiefe Ignoranz gegenüber den Kernbereichen von Volksmusikforschung, Ethnomusikologie und Musikalischer Volkskunde erkennen. Sie zeugen zudem von einer erschreckenden Konzeptionslosigkeit. Welche Akzente man in Freiburg in der Popularmusikforschung zu setzen gedenkt, ist unklar. In den inzwischen neununddreißig Jahrgängen der renommierten Beiträge zur Popularmusikforschung sucht man die Namen der Institutsmitarbeiter vergeblich. Das ‚Zentrum für Populäre Kultur und Musik' läuft Gefahr, sich zusehends in ein akademisches Niemandsland zu begeben – während für so viele fähige und verdiente Privatforscher, die die Volksmusikforschung in Deutschland heute entscheidend mittragen, die Perspektive einer institutionellen Einbindung in weiter Ferne liegt. Ein Trauerspiel.“
Ulrich Morgenstern (Musikethnologe, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien)